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Das Lied der Klagefrau

Das Lied der Klagefrau

Titel: Das Lied der Klagefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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aus, dachte wieder an das Hospital, dann an Richter und wieder an seine Dissertation.
    Und über alledem kroch schneckengleich die Zeit dahin.
    Wo Alena nur blieb?
    »Nun mach dich man nicht feucht, mien Jung«, sagte der Schiffer in der Ecke gegenüber. »Alena kreuzt noch durch die Stadt, sie wird bestimmt gleich einlaufen.«
    »Vielleicht wurde sie irgendwo aufgehalten?«, fragte die Magd.
    Friedrich schnupfte und nieste krachend. »
Non-sense!
Was heißt hier aufgehalten! Sie ist ein hübsches
Reibzeug
für die Männer, bestimmt stellen die Kerls ihr reihenweise nach.«
    »
Reibzeug, mon Dieu,
was für ein Ausdruck!«, empörte sich das Burgfräulein.
    »
Silencium,
alte Dörr…!«
    »Aber, aber, Majestät«, besänftigte der Schultheiß. »Alena kommt sicher zurück, so schnell sie kann. Sie ist ein ›tätig Ding‹, wie Mutter Vonnegut immer sagt.«
    Der Schiffer ergänzte: »Was man von dir, Abraham, heute nicht behaupten kann. Du sitzt herum und könntest genauso gut den Mond ansingen. Besorge lieber eine gute Flasche Wein, um Eure Rettung gebührend zu feiern.«
    »Du hast recht, Schiffer!«, rief Abraham. »Ich denke an Gott und die Welt und vergesse darüber das Naheliegendste.« Er sprang auf, schlüpfte in seinen Gehrock und eilte, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, die Treppe hinab. Sein Ziel war
Fleischhackers Weinladen,
das erste Haus am Platz.
    Eine Viertelstunde später war er zurück, eine
Bouteille
Traminer und eine
Bouteille
Tyrannenblut im Gepäck, denn er wusste nicht, ob Alena lieber weißen oder roten Wein trinken würde. Er ging sofort in die Küche und war umso enttäuschter, als er Alena dort nicht antraf, sondern nur die Witwe. »Guten Abend, Mutter Vonnegut«, sagte er außer Atem, »ist Alena immer noch nicht zurück?«
    »Doch, Julius, doch.« Die Witwe stärkte sich gerade mit einer Tasse Kaffee und einem Stück Puffer. »Schau nur hinunter in den Keller, dort hat sie ein Auge auf die getrockneten Pilze. Ich sag immer, wenn die Waldwichte erst Schimmel ansetzen, ist’s schade ums Bücken. Auch soll sie mal nach den Erdäpfeln sehen. Manche Leut verzehren sie ja, wenn sie schon Schwänze wie Mäuse haben und singen dazu noch ein
In dulci jubilo.
Aber so was gibt’s bei Mutter Vonnegut nicht.«
    »Gewiss, Mutter Vonnegut, gewiss.« Abraham eilte in den Keller, dabei nach wie vor die Flaschen unter dem Rock verbergend. Er folgte dem schwachen Lichtschein, der aus einem der Räume herüberleuchtete, und rief: »Alena, bist du da?«
    »Ja, Abraham, ich bin bei den Kartoffelkisten.«
    »Rate mal, was ich hier habe!«
    »Gleich, Abraham, gleich bin ich fertig. Dann erzählst du mir deinen Tag. Was hat denn Professor Richter gesagt?« Alena leuchtete sorgfältig die Kartoffeln ab, so sorgfältig, dass es Abraham vorkam, als nähme sie jede einzeln unter die Lupe.
    »Liebste, rate doch mal, was ich hier habe.«
    Alena hielt die Laterne in Richtung Abraham. »Da steckt was unter deinem Rock. Ist das etwa wieder einer deiner üblichen Scherze? Lass gut sein, Abraham, ich muss noch in den anderen Raum, wo die Äpfel lagern. Äpfel und Erdäpfel zusammen vertragen sich nicht, sagt die Witwe.« Alena ging voran. »Es sind zwei oder drei Kisten übereinander. Du könntest mir helfen, sie anzuheben, dann geht’s mit der Kontrolle leichter.«
    »Jetzt wird gar nichts mehr kontrolliert!«, rief Abraham in fröhlichem Kommandoton. Er überholte Alena und fing sie vor den Apfelkisten ab. »Zum dritten Mal: Rate, was ich hier habe.«
    »Ach, Abraham.« Alena strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Was weiß ich. Vielleicht ein Zauber-Utensil? Mir ist nicht zum Spaßen zumute. Ich war den ganzen Tag auf den Beinen und bin ziemlich erschöpft. So lieb und nett die Witwe ist, sie scheucht einen ganz schön herum. Lass mich die Äpfel inspizieren, dann habe ich Zeit für dich.«
    Abraham zog mit großer Geste die Flaschen unter dem Rock hervor.
    »Wein? Was willst du mit Wein?«
    »Feiern, Liebste!« Abraham erzählte von der wundersamen Wendung, die sich durch Professor Richters Angebot ergeben hatte. Während er das tat, öffnete er beide Flaschen, indem er einfach die Korken mit dem Daumen nach unten drückte. »Gleich morgen fange ich im Hospital an. Prost, Liebste! Willst du lieber Weißwein oder Rotwein?«
    »Lass das, Abraham, so schön das alles klingt, ich meine, es ist wirklich fantastisch, dass unsere Geldsorgen ein Ende haben sollen, aber wir können doch nicht

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