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Das Lied der Klagefrau

Das Lied der Klagefrau

Titel: Das Lied der Klagefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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angekommen. Wenn Gott einen Menschen zu sich nimmt, sollen die Verbliebenen sich in Trauer vereinen. Geteilter Schmerz ist halber Schmerz. Der junge Herr aber sagte mir, davon könne hier keine Rede sein.«
    »Ein Tollhaus ist das hier!«
    »Woran liegt das? Habt Ihr eine Vermutung?«
    »Nein.« Wilhelm schien nichts hinzufügen zu wollen. Er begann wieder, den schwarzen Hengst abzuwedeln.
    »Ich hörte, dass die Schwestern des jungen Herrn im Haus sind und dass es Zwist mit deren Dienerschaft gäbe?«
    »Dienerschaft? Pah!« Wilhelm hielt inne. »Drei hochnäsige Nichtsnutze sind das. Meinten, mir Befehle geben zu können, nur weil die gnädige Frau das Zeitliche gesegnet hat. Aber nicht mit mir, ich bin schon dreiundzwanzig Jahre hier, und mir sagt keiner was. Außer der Gnädigen, aber die ist ja nun, Gott sei’s geklagt, tot, und keiner weiß, wie’s weitergeht.« Wilhelm hob den Staubwedel wie eine Waffe. »Nicht mit mir!«
    »Wo sind sie denn jetzt?«
    »Wer?«
    »Die Diener der Schwestern.«
    »Ach so. Was weiß ich. Wenn sie nicht um ihre Herrschaft herumschwänzeln, lustwandeln sie gern zwischen den Rosenbeeten und begaffen die Arbeit der Gärtner. Vielleicht tun sie es auch jetzt. Es ist ja ein schöner Tag.« Wilhelms Stimme triefte vor Ironie.
    »Ich werde versuchen, mit ihrer Herrschaft zu sprechen.«
    »Tut das nur.« Wilhelm beruhigte sich ein wenig. Dann flackerte der Zorn wieder in seinen Augen auf. »Wenn Ihr mit den Schwestern sprecht, sie heißen übrigens Josepha von Senftleben und Alexandra zur Haid, dann könntet Ihr andeuten, dass es sich wenig schickt, schon jetzt in den Schmuckkästen der Gnädigen zu wühlen und die Stücke unter sich aufzuteilen.«
    »Habt Ihr sie dabei beobachtet, Wilhelm?«
    »Mit eigenen Augen. Sie und später ihre Diener.«
    »Nun, ich will sehen, was ich tun kann. Ich möchte, dass Harmonie in dieses Haus einkehrt. Und nun macht weiter, Wilhelm.«
    Alena verließ den Diener und steuerte die Gästezimmer im zweiten Stock an, wo sie die beiden Schwestern anzutreffen hoffte. Doch wie sich zeigte, war nur Madame von Senftleben anwesend. Ihre Schwester hatte anspannen lassen und unternahm eine Ausfahrt in die Umgebung.
    Alena fragte nicht ohne Scheinheiligkeit: »Ich nehme an, Madame zur Haid will einige organisatorische Dinge wegen der Beerdigung erledigen?«
    Madame von Senftleben runzelte die hohe Stirn. Sie trug ein für die Tageszeit wenig angemessenes, sittichgrünes Abendkleid und saß in einem
Fauteuil,
das nach dem neuesten Geschmack gearbeitet und mit Pferdehaaren überzogen war. Ihr zur Seite stand ein Beistelltischchen, darauf eine Schale mit Konfekt, aus der sie sich bediente. »Beerdigung? Wie kommt Ihr darauf? Darum soll sich mein kleiner Bruder kümmern. Er ist schließlich hier zu Hause.«
    »Wie es scheint, geht ihm der Tod seiner Mutter sehr zu Herzen.«
    »Ja, ja, das stimmt wohl. Ein typisches Mutter-Sohn-Verhältnis war das. Aber auch uns geht der Verlust sehr nahe. Allein die Unruhe, die das Dahinscheiden unserer geliebten Mutter mit sich gebracht hat. Mein Gatte und ich – wir leben in Frankfurt, müsst Ihr wissen – hatten für diese Woche ein dreitägiges Frühlingsfest, mit Zelten, Lampions, Musik und Tanz geplant, als es plötzlich hieß, dass es mit Mutter zu Ende geht. Natürlich haben wir sofort alles abgesagt, aber es war überaus peinlich, das könnt Ihr mir glauben, zumal der Herr Bürgermeister und einige Räte der Stadt mit ihren Damen ebenfalls eingeladen waren. Am Ende musste ich sogar allein hierherfahren, weil mein Gatte unabkömmlich war.« Aus Madames Stimme war deutlich ein Vorwurf herauszuhören. »Nun ja«, fuhr sie fort, »unsere Mutter ist Gott sei Dank erlöst. Ich hoffe, dass Franz die Formalitäten bald hinter sich bringt und dass unser Vater endlich Vernunft annimmt.«
    Sie unterbrach sich und wählte sorgfältig ein neues Konfekt. »Versteht mich nicht falsch, der Schmerz ist für ihn natürlich übermächtig, aber irgendwann muss er das Sterbezimmer wieder freigeben. Die Nachbarschaft tuschelt schon.«
    »Da habt Ihr sicher recht.« Alena hatte genug gehört. Sie verzichtete darauf, Madame von Senftleben auf die Schmuckkästen der verstorbenen Hausherrin anzusprechen, erhob sich und machte sich auf den Weg zum Kleinen Salon, dem Raum, in dem Franz’ Mutter ihren letzten Atemzug getan hatte.
    Unterwegs dorthin nutzte sie die Gelegenheit, kurz mit zwei weiteren Bediensteten zu sprechen, einem Zimmermädchen und der

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