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Das Lied der Klagefrau

Das Lied der Klagefrau

Titel: Das Lied der Klagefrau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Serno
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schließlich ins Grübeln.
    Es kam ihm zwar seltsam vor, aber es schien so zu sein: Burck war ihm als Patient ans Herz gewachsen. Vielleicht, weil er ein so schwieriger, um nicht zu sagen, hoffnungsloser Fall gewesen war. Genau wie seine beiden noch lebenden Kumpel.
    Und das wiederum war der Grund, warum Abraham ein schlechtes Gewissen hatte. Die Feier mit Pfarrer Egidius war kurz, flüchtig und unpersönlich gewesen, Burck hatte das nicht verdient.
    Und dann kam Abraham eine Idee, wie er gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen konnte: Wenn er Alena bäte, eine Trauerfeier für Burck abzuhalten, wäre das viel vertrauter und familiärer, und überdies würde sich für ihn vielleicht die Möglichkeit ergeben, sie wieder für sich zu gewinnen.
    Er ging hinüber in seine Stube, spitzte die Feder – und hielt inne. Er wollte den Brief mit »Liebste« beginnen, befürchtete aber, die Anrede wäre zu intim und würde sein Ansinnen von vornherein scheitern lassen. »Liebe Alena« oder nur »Alena« hingegen erschienen ihm zu steif und unpersönlich. Nach einigem Hin und Her begann er ohne Anrede:
    Ich habe leider keine gute Nachricht.
    Der arme Burck ist tot, aus unbekannter
    Ursache gestorben. Morgen Vormittag
    lasse ich ihn nach Bad Grund überführen.
    Könntest du heute Abend für ihn eine
    kleine Andacht hier im Hospiz abhalten?
    Ich glaube, Burck hätte es verdient.
    Julius
    Auch der Schluss hatte ihm Kopfzerbrechen bereitet, denn zunächst wollte er »Dein Julius« schreiben, aber dann traute er sich doch nicht. »Julius« musste genügen.
    Anschließend ging er auf die Straße und bat einen Nachbarsjungen, die Botschaft in die Güldenstraße zu tragen.
    Ob Alena wohl kommen würde?
     
     
    Und Alena kam wirklich. Sie sah sich um und ließ – im Gegensatz zu Pfarrer Egidius – Pentzlin und Gottwald hinaus auf den Gang schaffen.
    »Meinst du, die beiden würden deine Worte mitbekommen?«, fragte Abraham.
    »Ich weiß es nicht.« Alena vermied es, ihn anzusehen. »Aber wenn es so wäre, würde ich es nicht wollen. Sie sollen leben und nicht an einer Totenfeier teilnehmen.«
    »Ich bin dir sehr dankbar, dass du gekommen bist. Du … du weißt gar nicht, wie sehr ich mich freue.«
    Alena hob den Kopf und sah ihn aus ihren großen Augen an. Er erkannte darin Trauer. War es vielleicht die Trauer darüber, dass es mit ihnen auseinandergegangen war? Doch sein leiser Hoffnungsschimmer erlosch, als sie antwortete: »Ich bin wegen Burck hier, nur seinetwegen. Um ihn will ich trauern, denn er ist einsam und fern der Heimat gestorben. Und nun möchte ich beginnen.«
    Sie richtete einen Tisch neben dem Bett her und entzündete darauf alle Kerzen, die vorher im Hospital aufgetrieben werden konnten. Der Lichterglanz verlieh dem Raum einen ganz eigenen Zauber. Dann stellte sie ein Kruzifix dazu und versammelte Hasselbrinck, dessen Frau, die alte Grünwald sowie Abraham um sich. Gemeinsam traten sie an Burcks Bett.
    Mit klarer, anrührender Stimme begann sie zu sprechen: »Wir wissen nicht genau, welchen Glaubens Martin Jeremia Burck war, deshalb entnehmen wir den Inhalt für die heutige Andacht zum größten Teil dem Buch der Psalmen im Alten Testament. Denn die Gebete, Gedichte und Lieder, die dort zu finden sind, werden gleichermaßen von Katholiken und Protestanten genutzt.« Sie machte eine winzige Pause. »Und von Juden.«
    Abraham fragte sich, ob die letzte Anfügung ein kleines Zeichen der Hoffnung für ihn sein könnte, aber Alena fuhr schon fort: »Denn so steht es geschrieben: O Tod, wie bitter bist du; er hat nichts getan, was den Tod verdienet. Und doch kommt alles von Gott, Leben und Tod, Tugend und Sünde. Die Sünde aber gebiert den Tod. Und die Liebe gebiert das Leben. Denn so heißt es: Setze mich wie ein Siegel auf dein Herz und wie ein Siegel auf deinen Arm, denn die Liebe ist stark wie der Tod, und Eifer ist fest wie die Hölle; ihre Glut ist feurig und eine Flamme des Herrn. Der Herr züchtiget mich wohl, aber er gibt mich dem Tode nicht preis. Er wird meine Seele erlösen aus der Hölle Gewalt, denn er hat mich angenommen …«
    So predigte Alena immer weiter, und ihre eindringlichen Worte verfehlten ihre Wirkung nicht. Alsbald standen Hasselbrinck und seiner Frau Tränen in den Augen und ebenso der alten Grünwald, obwohl sie mit Sicherheit nur die Hälfte verstand. Auch Abraham konnte sich dem Bann ihrer Worte nicht entziehen, und Hoffnung keimte in ihm auf. Alles würde gut werden mit ihm und

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