Das Lied der Maori
ersten Monat ihrer Ehe meinte das Schicksal es gut mit Elaine. Kurz bevor es nach ihren Berechnungen gefährlich wurde, mit Thomas zu schlafen, zogen die Männer aus, um die Schafe ins Hochland zu treiben. Für die Mutterschafe nutzten sie dabei vor allem die von James McKenzie entdeckten, verborgenen Weiden in einem Talkessel. Mit den Tieren war es ein zweitägiger Ritt; mindestens einen Tag würde der Rückweg in Anspruch nehmen, und vielleicht hielten die Männer sich ja noch auf, um irgendwo zu fischen oder zu jagen. Mit etwas Glück waren die kritischen Tage danach vorbei.
Auf freiwilligen Verzicht ihres Mannes wagte Elaine nicht zu hoffen. Thomas schlief fast täglich mit ihr, und von »Gewöhnung« konnte keine Rede sein. Nach wie vor hatte sie das Gefühl zu zerreißen, wenn er in sie eindrang. Die Salbe der freundlichen Mrs. Gardener war längst aufgebraucht, und Elaine war noch nicht dazu gekommen, sich um Ingredienzien für eine neue zu bemühen. Wenn Thomas sie an sich presste oder seine Finger in ihre Brüste grub, war sie hinterher grün und blau. Am Schlimmsten war es, wenn sie ihn verärgert oder sich »nicht wie eine Lady« verhalten hatte. Er nannte das »Spielchen mit ihm spielen« und ahndete es mit seiner Art von Spielen. Es gab Möglichkeiten, in eine Frau einzudringen, von denen Inger nichts gewusst oder die sie Elaine vorenthalten hatte.
Pai wurde regelmäßig rot, wenn sie die Spuren von Thomas’ Misshandlungen an Elaines Körper sah.
»Ich werde ganz sicher nicht heiraten!«, erklärte sie einmal kategorisch. »Ich kann keinem Mann beiliegen, ich will nicht!«
»Aber ist schön!«, bemerkte Rahera mit ihrer sanften Stimme. Sie war ein entzückendes Mädchen von ungefähr fünfzehn Jahren, klein und gedrungen, aber sehr hübsch. »Ich schon gern heiraten, Mann aus meine Stamm. Aber kann nicht, muss arbeiten ...« Ihre Miene wurde traurig. Wie Elaine inzwischen herausgefunden hatte, waren Pita und Rahera keineswegs »Herumtreiber«, sondern gehörten einem Stamm an, der vorwiegend in den McKenzie Highlands lebte. Leider wanderte der Häuptling auch anderweitig auf den Spuren des legendären Viehdiebes; der Stamm geriet in Verdacht, als eine Herde von Sideblossoms besten Schafen verschwand. Die Tiere fanden sich allerdings bald wieder, und Sideblossom, der natürlich genau wusste, dass der Häuptling mit seinem Stamm das Weite suchen würde, sobald er den Police Constabler benachrichtigte, machte die jungen Maoris verantwortlich, die er zufällig bei der Herde antraf. Nun arbeiteten Rahera, Pita und zwei andere Jungen ihre Strafe ab – eine von Sideblossom festgesetzte, endlose Strafe. Elaine wusste, dass die Jungs sehr viel besser weggekommen wären, hätten sie sich dem Gericht gestellt, und Rahera hätte man wahrscheinlich gar nicht erst belangt.
»Du ... hast schon?«, fragte Pai verschämt. »Ich meine ... mit einem Mann?« Die Missionserziehung war ihr in jeder Beziehung anzumerken. Sie hatte niemals bei ihrem Volk gelebt und sprach sogar ihre eigene Sprache nur unvollkommen.
Rahera lächelte. »Oh ja. Heißt Tamati. Guter Mann. Jetzt arbeitet in Mine in Greystone. Wenn einmal frei, werden wir machen in
wharenui
. Dann Mann und Frau ...«
Elaine sah zum ersten Mal einen Sinn in der Sitte der Maoris, den Beischlaf in der Öffentlichkeit vor dem gesamten Stamm zu vollziehen. Was hätten die weiblichen Stammesältesten wohl gesagt, hätten sie gewusst, was Thomas ihr jede Nacht antat?
Elaine nutzte die Abwesenheit der Männer, sich endlich auch in den Ställen von Lionel Station genauer umzusehen. Im Haus hatte sie nämlich schon in diesen wenigen Tagen begonnen, sich zu Tode zu langweilen. In ihrer Wohnung gab es schließlich nichts zu tun. Gekocht wurde nicht, und die Putzarbeiten erledigten die Mädchen. Rahera hatte zwar keine Ahnung davon, wie man Silber putzte und Böden scheuerte und schien das alles auch ziemlich überflüssig zu finden, doch Pai war dafür umso penibler. Elaine wusste nicht, wie ihr Glaube aussah, doch was die Erziehung zur perfekten englischen Hausfrau oder Hausangestellten anging, hatte die Missionsschule erstklassige Arbeit geleistet. Pai lernte Rahera an und achtete darauf, dass sie alles richtig machte. Elaine störte da nur. Zerstreuungen wie Bücher oder ein Grammophon gab es kaum im Hause Sideblossom. Weder Vater noch Sohn schienen viel zu lesen, und Zoé beschränkte sich auf Frauenjournale. Die verschlang Elaine zwar auch, aber sie
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