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Das Lied der Maori

Das Lied der Maori

Titel: Das Lied der Maori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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geht mir gut.«
     

8
    Thomas ließ Elaine keine Zeit, sich zum Essen zurechtzumachen. Er befahl ihr, ihn so zu begleiten, wie sie war; deshalb fühlte Elaine sich gedemütigt und schmutzig vor den Augen der untadelig gekleideten Zoé und den Männern, die ihre Reisekleidung mit Anzügen vertauscht hatten. Dies schien auch Emere aufzufallen, denn die alte Maori bedachte Elaine mit ihren unauslotbaren Blicken. Missbilligend? Abschätzend? Oder einfach nur neugierig auf die Reaktion der Tischgesellschaft? Über Emeres Verhalten konnte Elaine jedenfalls nicht klagen; sie war höflich und bediente sehr geschickt.
    »Emere wurde noch von meiner ersten Gattin angelernt«, erklärte John Sideblossom, ohne die große Maori-Frau dabei anzuschauen. »Thomas’ Mutter. Sie ist allerdings sehr früh gestorben und hat uns nur wenig so gut ausgebildetes Personal hinterlassen ...«
    »Woher kommen die Maoris überhaupt?«, fragte Elaine. »In der Gegend hier scheint es kein Dorf zu geben.«
    Und warum war Emere immer noch hier, statt geheiratet zu haben und Kinder zu bekommen? Oder sich um ihren Stamm zu kümmern? Grandma Helen hatte schließlich erzählt, Emere sei eine 
tohunga
. Wenn sie wirklich imstande war, die 
wairua
-Stimme der 
putorino
 zu erwecken, musste sie als mächtige Zauberin gelten. Und jetzt, da Elaine sie zum ersten Mal näher betrachtete, fühlte sie sich durch ihr großflächiges Gesicht und den herzförmigen Haaransatz an irgendjemanden erinnert ... An wen bloß? Sie zermarterte sich das Hirn.
    »Die Männer verdingen sich hier«, erklärte Thomas. »Als Viehhüter, die üblichen Herumtreiber. Und die Mädchen ... teils haben sie die im Schlepptau, teils kriegen wir sie aus der Missionsschule bei Dunedin. Waisenkinder.« Das letzte Wort sprach er bedeutungsschwer aus und schien seinen Vater dabei mit einem spöttischen Blick zu streifen. Wieder war Elaine verwirrt. Sie hatte nie von Waisenkindern bei den Maoris gehört. Das entsprach nicht deren Auffassung von Familie. Grandma Helen hatte ihr erklärt, dass Maori-Kinder jede Frau der entsprechenden Generation »Mutter« oder »Großmutter« nannten, der Stamm zog seine Kinder gemeinsam groß. Ganz sicher setzte er keine Waisenkinder vor den Toren einer Missionsschule aus!
    Immerhin erklärte die Ausbildung an einer solchen Schule Pais erstklassiges Englisch und ihre Grundkenntnisse der Haushaltsführung. Elaine würde das Mädchen später fragen, woher es ursprünglich kam.
    Das Essen am Tisch der Sideblossoms war hervorragend, allerdings stark von der Maori-Küche geprägt; es gab hauptsächlich gebratenes Fleisch, Fisch und Süßkartoffeln. Elaine fragte sich, ob das wohl immer so war oder ob Zoé sonst auch die Küche überwachte und den Speisezettel vorschrieb. Sie konnte sich kaum noch erinnern, was sie bei ihrem ersten Besuch gegessen hatte. Damals hatte sie schließlich nur Augen für Thomas gehabt, hatte sich obendrein in die Landschaft um Lionel Station verliebt und überhaupt alles nur himmlisch gefunden. Jetzt fragte sich Elaine, wie sie so verblendet hatte sein können. Und das offenbar nicht nur einmal, sondern gleich zum zweiten Mal nach William.
    So etwas würde ihr jedenfalls nicht wieder passieren. Sie würde sich nicht noch einmal verlieben, sie ...
    Sie war 
verheiratet
. Die Erkenntnis, dass es aus ihrer jetzigen Situation keinen Ausweg mehr gab, ließ ihr den Bissen im Hals stecken bleiben. Das hier war kein Albtraum, aus dem sie irgendwann jemand erlösen würde. Es war unveränderbare Wirklichkeit! Natürlich gab es die Scheidung, aber dann müsste sie gewichtige Gründe vorbringen – und sie konnte ganz sicher keinem Richter schildern, was Thomas jede Nacht mit ihr tat! Allein der Gedanke, es jemandem zu erzählen, ließ sie vor Scham fast vergehen. Nein, eine Scheidung war keine Lösung. Sie musste lernen, damit zu leben. Entschlossen schluckte sie den Bissen herunter, obwohl ihr Mund wieder so trocken war wie vorher. Immerhin gab es Wein. Elaine nahm ihr Glas. Aber nicht zu viel, sie brauchte einen klaren Kopf. Callie musste noch untergebracht werden. Vielleicht konnte sie sich an Pai wenden, oder besser noch an Rahera. Die konnte die Hündin zu ihrem Bruder bringen, und Pita würde auf sie aufpassen. Und dann ... Elaine musste sich auf andere Anweisungen aus Daphne O’Rourkes Erfahrungsschatz besinnen als auf die, im Wein Vergessen zu suchen. Zumindest vorerst wollte sie auf keinen Fall schwanger werden!
     
    In diesem

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