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Das Lied der Maori

Das Lied der Maori

Titel: Das Lied der Maori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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Lainie.«
    Elaine wartete, bis die Mädchen fort waren; dann schleppte sie sich zu ihrer Truhe und suchte den Revolver heraus. Er lag fast tröstlich in ihren kleinen Händen. Unsicher schloss sie den Finger um den Abzug. Ob sie es schaffen würde, diese große Waffe abzufeuern? Aber warum nicht? Sie hatte schon Männer beim Zielschießen beobachtet, und auch wenn die Meisten das Ding einhändig handhabten, nahmen manche beide Hände zu Hilfe, um genau zu zielen. Das konnte sie auch tun! Elaine hob den Revolver und richtete ihn auf die hässlichen Vorhänge. Halt, erst musste man das Ding entsichern! Der Sicherungshebel war leicht zu finden; im Grunde war die Waffe ein primitives Gerät. Elaine fand auch rasch heraus, wie man sie lud. Aber das half ihr nichts, mehr als die sechs Patronen, die jetzt in den Kammern steckten, würde sie doch nie bekommen. Und mehr als eine würde sie niemals abfeuern können, bevor Thomas ihr die Waffe wegnahm. Also kein Probeschießen im Haus! Elaine legte die Waffe zurück. Doch von jetzt an dachte sie jede Stunde ihres elenden Lebens darüber nach. Bisher hatte sie immer auf Hilfe gehofft, wie die Mädchen in den Groschenheften und Journalen und sogar die Heldinnen in den bekannten Romanen. Aber sie war keine Romanfigur, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut. Sie musste nicht warten, bis ein Ritter kam, um sie zu befreien; sie hatte eine Waffe, und sie hatte ein Pferd. Sie dachte nicht ernsthaft daran, sich den Weg freizuschießen, doch mit dem Revolver in der Tasche würde sie sich stärker fühlen, so wie sie sich jetzt schon sicherer fühlte, wenn er nur in der Truhe lag – allen Misshandlungen zum Trotz. Bevor Thomas sie totschlug, würde sie ihn erschießen. Den Wunsch dazu verspürte sie jede Nacht. Aber es war natürlich illusorisch, die Waffe aus der Truhe herausholen zu wollen, während Thomas sie misshandelte. Elaine hätte das Ding schon unter der Bettdecke verstecken müssen, und dazu fehlte ihr der Mut. Sie durfte gar nicht daran denken, was geschehen würde, wenn sie einen Fehler machte und die Waffe dann nicht losging! Nein, es war besser, eine Möglichkeit zur unbemerkten Flucht zu suchen. Sie würde nach Queenstown reiten und versuchen, eine Scheidung zu erwirken.
    Elaines Angst überstieg ihr Schamgefühl. Natürlich würde es schrecklich peinlich sein, sich einem Richter anzuvertrauen – aber sie fürchtete um ihr Leben.
     
    Während Zoé auf die Geburt ihres Kindes wartete und Emere sich wieder mal im Flötenspiel übte – es schien jetzt nichts mehr mit ihren »Besuchen« bei John Sideblossom zu tun zu haben; vielleicht wob sie ja Zauber für ihr ungeborenes Kind? –, schmiedete Elaine Fluchtpläne. Vielleicht, wenn die Schafe abgetrieben wurden! Dann war Thomas mindestens zwei Tage fort. Die Stallburschen standen auf ihrer Seite, und Zoé und Emere würden sie nicht aufhalten können, wenn sie entschlossen davonritt. Aber bis dahin würde es noch dauern ... Elaine zwang sich zum Optimismus. Womöglich kam vorher doch noch Hilfe aus Queenstown.
     
    Dann aber, nur eine Woche nach Patricks Besuch, ergab sich überraschend eine Gelegenheit, Lionel Station zu verlassen. Zunächst waren am Tag zuvor die Schafschererkolonnen eingetroffen, sodass Thomas und John alle Hände voll zu tun hatten. Jeder von ihnen beaufsichtigte einen Scherschuppen, eine Aufgabe, die sie ungern abgaben, obwohl zumindest die »Waisenkinder« unter den Farmarbeitern fehlerlos rechnen und Zahlen schreiben konnten. Zoé jammerte, dass John sie verließ, obwohl ihre Zeit sicher kurz bevorstünde. Sie sah schlecht aus und forderte die Aufmerksamkeit des gesamten Hauspersonals. Selbst Pai und Rahera wurden zu kleinen Diensten herangezogen, was Elaine ärgerte. Ihre Mädchen gingen Zoé nun wirklich nichts an. Andererseits fand sie sich zum ersten Mal seit ihrer Ankunft auf Lionel Station völlig unbeobachtet. Sie dachte schon jetzt daran, Banshee einfach zu satteln und eine Flucht zu versuchen; dann aber erschien es ihr doch zu riskant. Thomas’ Pferde waren schneller als Banshee. Wenn sie nur drei oder vier Stunden Vorsprung hatte, würde er sie einholen.
    Doch dann war das Glück ihr endgültig hold: Gegen Mittag setzten Zoés Wehen ein. Die junge Frau entwickelte dabei starke Blutungen und geriet in Panik. Emere schickte weisungsgemäß nach John und zog sich selbst zurück, um, wie sie sagte, die Geister um eine glückliche Niederkunft zu bitten.
    Als John das hörte, ließ er seine

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