Das Lied der Maori
Küste, die Wälder, die Wale – das muss man mal gesehen haben. Dann hat man auch Fragen dazu, und die Antworten stehen in Büchern. Sie, liebe Miss Heather, können die Zeit nutzen, um all das Wissen herauszusuchen und es derweil schon mal den Maori-Kindern zu vermitteln. Die lesen nämlich auch gern mal was anderes als die Bibel und
Sarah Crewe
. Mit Walen können sie wenigstens was anfangen ...«
»Oh ja, ich darf, ich darf! Das wird wundervoll, Mr. Burton! Mom, Daddy, darf ich gleich noch ins Dorf und Maaka Bescheid sagen? Wir werden uns Wale ansehen ...!«
Gwyneira lächelte, als er aufgeregt losrannte, um seinen Freund mit der Nachricht zu überraschen. Niemand zweifelte daran, dass Maaka die Erlaubnis seiner Eltern erhielt. Die Maoris waren geborene Wanderer; sie würden sich für den Jungen freuen. »Aber Sie sind mir dafür verantwortlich, Mr. Burton, dass die zwei die Viecher lassen, wo sie sind! Ich habe mich an Wetas im Spielzimmer gewöhnt, aber ich habe nicht vor, mich an Wale im Teich zu gewöhnen!«
Außer den beiden Jungen würden noch Andy McAran und Poker Livingston die Schafe begleiten. Poker nutzte hocherfreut die Gelegenheit für diesen Ausflug; das ruhige Leben bei seiner Freundin schien ihn bereits zu langweilen. Dabei mussten die Vorbereitungen schnell gehen, denn Mr. Burton wollte bald los.
»Dann sparen Sie einen Treiber, Miss Gwyn, und ich trainiere schon mal den Umgang mit den Hunden.«
Gwyn verriet ihm nicht, dass Andy und Poker den Trail auch mühelos mit zwei Hunden allein bewerkstelligt hätten – und James oder sie allein mit einem Hund. Aber schließlich wollte sie weder seine Begeisterung noch die der Jungen trüben.
Jack quälte bei der Sache nur eine Sorge: Was würde Gloria ohne ihn tun?
»Wenn ich nicht da bin, hört doch niemand, wenn sie nachts schreit«, meinte er. »Das tut sie zwar kaum noch, aber sicher kann man nicht sein ...«
Gwyneira warf William einen vorwurfsvollen Blick zu. Eigentlich wäre es wohl seine Aufgabe gewesen, zumindest jetzt zu versichern, dass er sich selbstverständlich um seine Tochter kümmern würde. Doch William blieb stumm.
»Ich hole sie zu uns«, beruhigte deshalb Gwyneira selbst ihren Sohn.
»Vielleicht könnte unsere Miss Witherspoon sich ja ein wenig um ihre künftige Schülerin kümmern«, stichelte James.
Spätestens seit seinen Bemerkungen über ihren nutzlosen Unterricht herrschte zwischen ihm und der Hauslehrerin offener Krieg.
Heather würdigte ihn keines Blickes.
»Jedenfalls passiert Gloria nichts«, meinte Gwyn. »Auch wenn sie dich zweifellos vermissen wird, Jack. Vielleicht bringst du ihr das Bild von einem Wal mit. Und dann zeichnest du im Hof auf, wie groß er ist.«
Jack war in Hochstimmung, als die Reiter schließlich aufbrachen; Gwyneira jedoch kämpfte mit ausgesprochen schlechter Laune. Sie vermisste ihren Sohn, kaum dass er weg war, und tatsächlich schien das Haus an Leben verloren zu haben. Jacks vergnügtes Plaudern und sein kleiner Hund, der stets im Weg zu sein schien, fehlten beim Abendessen. Die Mahlzeit verlief förmlicher als sonst, zumal die Stimmung zwischen James und Heather spürbar frostig war und auch William wenig zur Unterhaltung beitrug. James, der Gwyns depressive Stimmung spürte, suchte schließlich nach einer besonders guten Flasche Wein und schlug seiner Frau vor, damit früh zu Bett zu gehen.
Gwyneira schenkte ihm das erste Lächeln an diesem Tag, aber dann kam auch hier etwas dazwischen. Ein junger Viehhüter sorgte sich um eins der Pferde im Stall. Normalerweise hätte er Andy alarmiert, doch in dessen Abwesenheit wandte er sich lieber direkt an die McKenzies, als etwas zu riskieren. James und Gwyn schlossen sich ihm beide an, um bei der Stute nach dem Rechten zu sehen.
Heather Witherspoon nutzte die Gelegenheit, eine Flasche Wein aus dem sonst verschlossenen Schrank zu stibitzen.
»Komm mit, William, dann machen wenigstens wir es uns gemütlich!«, lockte sie, während William noch darüber nachdachte, ob es dem Familienfrieden nicht zuträglicher wäre, wenn er sich den McKenzies anschlösse. Andererseits war er nicht gerade Spezialist für Pferdekrankheiten – und er hatte schon den ganzen Tag draußen verbracht, während es pausenlos regnete. Genug war genug.
Er wunderte sich ein wenig, als Heather ihn nicht wie sonst mit in ihr Zimmer nahm, sondern zielsicher die Räume ansteuerte, die er mit Kura bewohnt hatte.
»Ich hab mir von Anfang an gewünscht, mal in
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