Das Lied der Maori
Hotelbesitzerin. Früher soll sie mal hier angeschafft haben. Aber früher war der Laden hier eh nicht so verkommen.«
Kura glaubte nicht daran, dass ein »ordentlicher Puff« sich um das Mädchen reißen würde, sagte aber nichts dazu. Greymouth lag ohnehin auf ihrer Route; sie würde also kaum um den Pub der Frau herumkommen. Allerdings erhoffte sie sich von diesem Ort etwas mehr. Sie hatte Greymouth von ihrer ersten Tournee mit dem Ensemble in bester Erinnerung. Damals hatten sie in einem der noblen Hotels am Kai logiert. Die Honoratioren des Ortes – auch Minenbesitzer und Kaufleute – hatten sie hofiert, und die Gruppe hatte stehende Ovationen bekommen. Kura Warden allen voran. Vielleicht würden die Hotelbetreiber sich an sie erinnern.
Kura steuerte den Ort deshalb in bester Stimmung an, hatte diesmal aber einen ganz anderen Eindruck von der Stadt. Greymouth war kein sauberes, idyllisches Städtchen, das vor allem aus schmucken Hotels und stattlichen Bürgerhäusern bestand. Schließlich setzte Kura nicht wie damals mit der Fähre über den Grey River, sondern kam über die Küstenstraße von Westport und passierte als Erstes die Siedlungen der Minenarbeiter sowie einen heruntergekommenen Stadtkern. Holzhäuser, kleinere Läden, ein Barbier, ein Sargtischler – und auch mit dem Puff hatte die Hure in Westport offensichtlich übertrieben. Das Wild Rover wirkte genauso ungemütlich und wenig vertrauenerweckend wie die meisten Kneipen an der Westküste.
Kura war froh, die besseren Stadtviertel wiederzufinden, und erfreute sich an den eleganten Fassaden der Hotels. Doch als sie nach Arbeit fragte, wurde sie schnell enttäuscht. Eine einzelne Künstlerin? Ohne Vermittlung durch irgendwelche Honoratioren oder eine Konzertagentur? Ein zugegeben bildschönes Mädchen, doch in abgetragenen Kleidern und nur mit ein paar Flöten als Bühnenrequisiten? Die Hoteliers lehnten durchweg dankend ab und bedeuteten Kura, es lieber im Bergarbeiterviertel zu versuchen.
Kura schlich entmutigt und gedemütigt hinaus. Das war wirklich der Tiefpunkt. Schlimmer konnte es kaum noch kommen. Sie musste nun bald eine Entscheidung treffen. Zu Kreuze kriechen bei Gwyneira McKenzie oder noch tiefer sinken und ihren Körper verkaufen ...
Erst einmal steuerte sie das Wild Rover an. Sie musste endlich etwas essen.
Der Wirt der Kneipe stellte sich als Paddy Holloway vor. Sein Laden war von innen ebenso verwahrlost wie von außen. Die Theke war klebrig und verdreckt, die Wände seit ewigen Zeiten nicht gestrichen. Im Schankraum stand noch Bierdunst vom Tag zuvor, und das Klavier machte den Eindruck, als hätte es seit hundert Jahren niemand mehr gespielt, geschweige denn gestimmt. Auch Paddy Holloway selbst schien alles andere als gepflegt. Er hatte sich anscheinend noch nicht rasiert, und seine Schürze war mit Fett-, Bier- und Soßenflecken übersät. Das Einzige, was den kleinen, rundlichen Mann von den meisten anderen Schankwirten unterschied, was seine unverhohlene Begeisterung für Kuras Auftritt in seinem Etablissement. Und dabei schien es ihm wirklich um die Musik zu gehen. Zwar betrachtete er Kura lüstern, aber das taten fast alle Männer. Und Kura war es gewohnt, trotzdem die Tür gewiesen zu bekommen, wenn sie sich nicht entsprechend zugänglich zeigte. Paddy Holloway jedoch wuselte um sie herum, als hätte er mindestens die Queen zu Besuch.
»Selbstverständlich dürfen Sie hier singen, ich freue mich! Das Klavier ist nicht das beste, aber wenn Sie sich entscheiden sollten, länger zu bleiben, würde ich glatt ein neues für Sie anschaffen. Hätten Sie nicht Lust auf ein längeres ... wie sagt man ... Engagement?«
Kura war verblüfft. Hatte sie sich verhört, oder bot ihr der Wirt da gerade eine Auszeit von der Tingelei und dem Leben auf der Straße? Ohne größere Nebengedanken, denn wie es aussah, betrieb er tatsächlich nur eine Kneipe und kein Bordell.
»Wissen Sie, ich suche schon lange eine Pianistin«, fuhr er eifrig fort. »Und nun kommt doch glatt eine hereingeschneit! Und eine so hübsche noch dazu! Die auch noch singt! Da kommen die nicht mit im Lucky Horse! Die Kerle werden in Scharen zu uns abwandern!«
Kura hörte nur mit halbem Ohr zu. Sie war müde und fühlte sich geschlagen. Am liebsten hätte sie an diesem Abend gar nicht mehr gesungen, sondern wäre gleich ins Bett gefallen. Fragte sich nur, in welches. Alle ihre inzwischen geschärften Instinkte sagten ihr, dass sie besser nicht unter dem gleichen
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