Das Lied der Maori
ordentliche Unterkunft für ihr Pferd. Wie fast in jedem Dorf konnte ihr der Stallvermieter auch in Bezug auf eine eigene Unterkunft weiterhelfen. Kura bedankte sich, nahm ihren Koffer und suchte die beiden privaten Zimmervermieterinnen auf, die Greymouth zu bieten hatte. Dabei war sie guten Mutes, hatte sie doch Erfahrung darin, solche Damen um den Finger zu wickeln. Bei Witwe Miller machte sie auch gleich einen hervorragenden Eindruck, während sie sich Mrs. Tanners Pension erst mal in Reserve hielt. Die Dame war schließlich die Frau des Barbiers, und verheiratete Frauen nahmen Kura eher ungern ins Haus.
Mrs. Miller jedoch schmolz dahin, als die junge Frau von ihren Erfolgen als Sängerin erzählte. Mrs. Miller hatte in ihrer Jugend mal eine Oper in England gehört und konnte immer noch wortreich davon erzählen. Auch der hiesige Reverend, versicherte sie Kura, sei ein großer Musikliebhaber. Bestimmt würde er ihr die Kirche für ein Konzert zur Verfügung stellen. Und solange vermietete Mrs. Miller diesem wunderschönen und wohlerzogenen Mädchen selbstverständlich ein Zimmer. Vom Wild Rover sprach Kura vorerst nicht.
Dafür sprachen die Leute in Greymouth bald von ihr; schon ihr erster Abend im Pub machte Furore. Kura war erstaunt. Sicher, die Männer fraßen ihr aus der Hand, das war immer so. Sie konnte sich vor Musikwünschen und zweideutigen Anträgen kaum retten. Aber hier schienen die Männer obendrein Vergleiche anzustellen. Kura sei viel hübscher als Miss Lainie, bemerkten einige; außerdem könnte sie singen. Andere schienen Wetten darauf anzunehmen, ob das Rover am folgenden Samstag mit Stammgästen des Horse gefüllt wäre oder nicht.
»Womöglich wandert ja sogar Tim Lambert ab!«, bemerkte ein Bergmann, und die anderen konnten sich vor Gelächter kaum halten. »Die hier singt. Sie macht den Mund also zwangsläufig öfter auf als seine Miss Keefer.«
Lediglich ein schlanker blonder Mann schien sich mehr für Kuras Musik zu interessieren als ihren Vergleich mit »Madame Clarisse’ verhuschter kleiner Maus«, wie Paddy es ausdrückte. Kura war er gleich aufgefallen, als er hereinkam. Er war deutlich besser gekleidet als die anderen Gäste. Außerdem wurde er nicht mit Hallo begrüßt, sondern von den Bergleuten eher argwöhnisch beäugt. Der Wirt hieß ihn dagegen beinahe mit Ehrfurcht willkommen.
»Möchten Sie irgendwelche Wetten platzieren, Mr. Biller?«, erkundigte sich Paddy. Auch das war außergewöhnlich; die anderen Stammgäste rief er beim Vornamen. »Wir haben hier am Samstag einen Hundekampf. Und in Wellington ist am Sonntag Renntag, die Startlisten hätte ich hier ... das alles ist allerdings streng vertraulich, Sie wissen schon. Ergebnisse ab Montagabend. Ich konnte Jimmy Farrier bis jetzt nicht überreden, den Telegrafen gleich am Sonntag anzuschmeißen.«
»Montag reicht«, meinte der junge Mann unkonzentriert. »Lassen Sie das Programm mal hier, und bringen Sie mir einen Whisky, einen Single Malt ...«
Ein paar Männer um den Blonden herum verdrehten die Augen. Single Malt – das Zeug kostete ein Ve rmö gen !
Die nächsten Stunden verbrachte der junge Mann damit, langsam drei Whiskys zu trinken und Kura dabei anzusehen. Kura wunderte das nicht; auch solche stillen Bewunderer war sie gewohnt. Aber was sie verblüffte, war der Ausdruck in den Augen dieses Gastes. Er musterte interessiert ihr Gesicht, ihr Haar, ihre Kleidung und ihre über die Tasten tanzenden Finger, doch er blickte dabei nicht lüstern, sondern schien alles ganz sachlich einzuschätzen. Manchmal hatte sie den Eindruck, als wollte er sich erheben und sie ansprechen, aber dann überlegte er es sich doch wieder anders. War er schüchtern? Anzeichen dafür zeigten sich eigentlich nicht. Weder errötete er bei jeder Gelegenheit, noch trank er sich Mut an oder grinste dümmlich, wenn Kura zu ihm hinübersah.
Schließlich beschloss Kura, ihrerseits einen Vorstoß zu wagen. Der Mann wirkte wie ein sachlich interessierter Konzertbesucher und hatte unzweifelhaft Lebensart. Vielleicht wusste er hochwertigere Musikvorträge zu schätzen. Tatsächlich blieb ihm fast der Mund offen stehen, als sie die
Habanera
sang. Und jetzt kam er auch wirklich zu ihr hinüber.
»Bravo!«, sagte er anerkennend. »Das ist aus Carmen, nicht wahr? Wundervoll, einfach wundervoll! Sie haben es letztes Jahr schon gesungen, als Sie hier mit dem Greenwood-Ensemble gastiert haben. Ich war mir zunächst nicht sicher. Aber jetzt, diese
Weitere Kostenlose Bücher