Das Lied der Maori
Stimme ...«
Der Mann wirkte beinahe aufgeregt, während Kura sich ein wenig beleidigt fühlte. Konnte sie sich so verändert haben, dass ein Konzertbesucher von damals sich nicht an sie erinnerte? Noch dazu ein männlicher? Gewöhnlich hinterließ sie bei Männern einen unvergesslichen Eindruck!
Kura beschloss schließlich, die Sache auf die Schminke zurückzuführen. Auf der Bühne hatten alle Darsteller sich stark geschminkt, und als Carmen hatte sie das Haar obendrein aufgesteckt, während sie es jetzt offen trug. Vielleicht hatte das den Mann getäuscht. Jedenfalls schenkte sie ihm ein huldvolles Lächeln.
»Wie schmeichelhaft, dass Sie sich erinnern.«
Der junge Mann nickte eifrig. »Oh ja, ich weiß auch noch Ihren Namen. Kura Marsten, nicht wahr?«
»Martyn«, berichtigte sie, dennoch beeindruckt. Ein merkwürdiger Mensch. Er erinnerte sich an ihre Stimme, ihren Namen – aber nicht an ihr Gesicht?
»Ich hielt Sie schon damals für ein ganz großes Talent! Aber ich dachte, die Truppe wäre inzwischen längst wieder in Übersee. Mein Name ist übrigens Biller, Caleb Biller. Verzeihen Sie, dass ich nicht gleich ...«
Der Mann verbeugte sich, als wäre es ein schwerer Fauxpas gewesen, sich nicht bereits vorzustellen, bevor er ein paar Worte mit ihr wechselte.
Kura unterzog ihn einer näheren Musterung. Groß, schlank, recht gut aussehend, das Gesicht vielleicht ein wenig blass und ausdruckslos, fast kindlich-unschuldig. Seine Lippen waren schmal, aber schön geformt, seine Wangenknochen hoch, die Augen blassblau. Alles an Caleb Biller wirkte ein wenig farblos. Aber immerhin war er gut erzogen.
Kura lächelte erneut.
»Kann ich Ihnen mit einem besonderen Lied eine Freude machen, Mr. Biller?«, erkundigte sie sich. Vielleicht würde er auch für sie Single Malt ordern. Für zwanzig Prozent Anteil an ein paar Drinks dieser Preiskategorie würde sie sich den kalten Tee gern antun.
»Miss Martyn, jedes Lied von Ihren Lippen entzückt mich«, meinte Biller artig. »Was ist denn das?«
Interessiert schaute er auf Kuras
putorino
, die sie auf dem Klavier abgelegt hatte.
»Ist das eine von diesen Maori-Flöten? Ich hatte noch nie so etwas in der Hand ... darf ich?«
Kura nickte, woraufhin Biller das Instrument vorsichtig ergriff und fachkundig untersuchte.
»Würden Sie etwas darauf spielen?«, fragte er dann. »Ich würde es zu gern hören, besonders diese Geisterstimme ...«
»Wairua?«
Kura lächelte. »Dafür kann ich hier allerdings nicht garantieren. Die Geister verbreiten sich im Allgemeinen nicht in Pubs. Das ist unter ihrer Würde.«
Es kam immer gut an, ein paar geheimnisvolle Geschichten über die Geisterstimme zu erzählen. Doch insgeheim wunderte sich Kura. Nur wenige
pakeha
wussten von den Besonderheiten des Instruments. Dieser junge Mann hier musste sich für die Maori-Kultur interessieren.
Kura stand auf und spielte ein einfaches Lied, zunächst in der hohen Frauenstimme des Instruments. Ein paar Gäste buhten. Die Mehrheit wollte eindeutig Trinklieder hören statt Maori-Musik.
»Ohne Gesangsbegleitung klingt es ein bisschen dünn«, meinte Kura entschuldigend.
Caleb nickte eifrig. »Ja, ich verstehe. Darf ich?«
Er wies auf den Klavierstuhl, und verwirrt machte Kura ihm Platz. Gleich darauf spielte er eine lebhafte Begleitmelodie. Kura folgte ihm mit der Flöte und wechselte von der weiblichen in die männliche Tonlage, woraufhin Caleb mit tieferen Klängen antwortete. Als sie endeten, applaudierten die Bergleute.
»
Tin Whistle
spielste nich’ zufällig?«, fragte ein angetrunkener Ire.
Kura verdrehte die Augen.
»Aber vielleicht können Sie ja noch etwas im Stil der Maoris«, bemerkte Caleb. »Mich fasziniert ihre Musik. Und der Tanz, dieser
haka
. Ist es nicht ursprünglich ein Kriegstanz?«
Kura erklärte ein paar Besonderheiten der Maori-Musikkultur und sang ein passendes Lied. Biller schien begeistert. Paddy Holloway allerdings weniger.
»Nun hör mal auf mit dem Gedudel!«, fuhr er Kura nach drei Vorträgen an. »Die Männer wollen was Lustiges hören, Gejammer hören sie genug von ihren Weibern.«
Kura wechselte einen bedauernden Blick mit Caleb Biller und ging wieder zu Trinkliedern über. Der junge Mann blieb dann auch nicht mehr lange.
»Ich darf mich verabschieden«, meinte er höflich und verbeugte sich wieder förmlich vor Kura. »Es war ausgesprochen anregend, Ihnen lauschen zu dürfen, und ich würde es gern bei Gelegenheit wiederholen. Wie lange
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