Das Lied der Maori
nicht.
Dr. Leroy schüttelte den Kopf. »Gelähmt ist er nicht, da hätte er sich die Wirbelsäule brechen müssen, und das ist ihm wahrscheinlich erspart geblieben. Wobei man sich auch hier fragen muss, ob das ein Segen ist. Wenn jemand gelähmt ist, hat er wenigstens keine Schmerzen mehr. Aber so ...«
»Aber Knochenbrüche heilen doch!«, warf Lainie ein. »Mein Bruder hat sich mal den Arm gebrochen, und das ist ganz schnell geheilt. Und mein anderer Bruder ist von einem Baum gefallen und hat sich den Fuß gebrochen. Da musste er länger im Bett liegen, aber dann ...«
»Einfache Brüche heilen ohne Schwierigkeiten«, unterbrach Leroy sie. »Aber das hier sind Trümmerbrüche. Wir können sie natürlich schienen, aber ich weiß kaum, wo ich anfangen soll. Wir werden einen Spezialisten aus Christchurch kommen lassen. Ganz sicher werden sie irgendwie heilen ...«
»Und er wird wieder laufen können?«, fragte Elaine hoffnungsvoll. »Natürlich nicht gleich, aber in ein paar Wochen oder Monaten ...«
Leroy seufzte. »Mädchen, seien Sie froh, wenn er in ein paar Monaten in einem Rollstuhl sitzen kann. Dieses gebrochene Hüftgelenk ...«
»Nun hör endlich mal auf mit der Unkerei, Christopher!« Berta Leroy war mit ihren Nerven am Ende. Ihr Mann war ein guter Arzt, aber ein chronischer Pessimist. Und auch wenn er meistens Recht behielt – zum jetzigen Zeitpunkt gab es keinen Grund, die Angehörigen zu verschrecken. Dieses rothaarige Mädchen hier, das irgendwie zu Madame Clarisse gehörte, aber anscheinend keine Hure war, wirkte jetzt schon wie ein Blatt im Wind. Als Christopher den Rollstuhl erwähnte, war alle Farbe aus ihrem Gesicht gewichen.
Berta nahm sie energisch bei der Schulter. »Und Sie atmen mal tief durch, Kleines! Sie helfen Ihrem Freund nicht, wenn Sie uns auch noch umfallen. Wie gesagt, es kommt ein Spezialist aus Christchurch. Bevor der da ist, kann man gar nichts sagen.«
Elaine bekam sich wieder halbwegs unter Kontrolle. Natürlich, sie benahm sich albern. Sie sollte sich darüber freuen, dass Tim noch am Leben war. Wenn sie nur nicht ständig das Bild von diesem Pferderennen vor Augen gehabt hätte ... Tim als strahlender Sieger, der lachend vom Pferd gesprungen war, der leichtfüßig aufs Siegerpodest geklettert war, der Fellow umarmt und sich dann wieder in den Sattel geschwungen hatte. Sie konnte sich diesen Mann nicht im Rollstuhl vorstellen, zur Untätigkeit verdammt. Vielleicht hatte Dr. Leroy Recht, und das war für ihn schlimmer als der Tod.
Aber darüber würde sie sich später Gedanken machen. Erst musste sie Mrs. Leroy fragen, was sie für Tim tun konnte. Ob es noch irgendetwas gab, sich zu beschäftigen ...
Berta Leroy hatte sich jetzt aber zunächst Nellie Lambert vorgenommen. »Nun nehmen Sie sich endlich zusammen!«, zischte sie Tims schluchzende Mutter an. »Da draußen sind etliche Frauen, die heute ihre Männer und Söhne verloren haben! Und die obendrein nicht mal wissen, wie sie das Geld aufbringen sollen, um sie zu beerdigen! Sie dagegen haben Ihren Sohn wieder. Sie sollten Gott danken, statt hier sinnlos herumzujammern. Wo ist überhaupt der Reverend? Schauen Sie, ob Sie draußen jemanden finden, der Sie nach Hause fährt. Wir werden den Jungen hier erst einmal waschen, versorgen und ins Bett bringen, solange er noch bewusstlos ist. Er wird hinterher noch genug Schmerzen haben ... Christopher?«
Dr. Leroy sichtete bereits seine Schienen und sein Verbandsmaterial. Mrs. Leroy vermerkte dies wohlgefällig und stürzte sich gleich wieder auf Elaine.
»Besser, Kleines? Gut. Dann schauen Sie doch mal nach Mrs. Carey! Wir brauchen hier noch jemanden, der anpacken kann!« Mrs. Leroy wandte sich Tims Bett zu und machte Anstalten, die Decken zu lüften.
»Ich kann helfen!« Elaine folgte ihr.
Berta Leroy schüttelte jedoch den Kopf. »Nein, Sie nicht. Das fehlt Ihnen heute Nacht gerade noch, an den Beinen Ihres Liebsten rumzuziehen und zu zerren. Dann kippen Sie mir doch noch um.«
»Er ist nicht mein Liebster ...«, flüsterte Elaine.
Berta lachte. »Nein, ganz sicher nicht. Kleines, Sie sind kalt wie eine Hundeschnauze! Ganz unbeteiligt. Sie sind einfach nur zufällig hiergeblieben, weil Sie Tim Lambert ganz flüchtig kennen, ja? Erzählen Sie das Ihrer Großmutter! Aber erst mal spannen Sie Ihr Pferdchen an. Die Kutsche von Madame Clarisse ist doch noch hier, oder? Suchen Sie jemanden, der die Sitze rausnimmt, da muss eine Trage reinpassen.«
»Du willst den Mann
Weitere Kostenlose Bücher