Das Lied der Maori
nicht, sein Vorgehen bei der Erschließung neuer Schächte zu ändern.
»Aber damit kommt er diesmal nicht durch!«, erklärte Matt im Brustton der Überzeugung. »Wir müssen mindestens sechzig neue Leute einstellen. Das wird sowieso schwer genug – wir haben jetzt schließlich den Ruf der ›Todesmine‹. Wenn wir den noch weiter pflegen, muss Mr. Lambert seine Kohle bald selbst abbauen.«
Tim sagte nichts dazu; er war zur Genüge mit seiner eigenen misslichen Lage beschäftigt. Sich jetzt noch mit seinem Vater zu streiten ging über seine Kräfte. Zumal Marvin ihn kaum besuchte. Er schien das Unglück, das seinen Sohn getroffen hatte, genauso ignorieren zu wollen wie die Verantwortung für die Hinterbliebenen seiner Arbeiter.
Matt Gawain fragte sich bitter, ob Lambert die Vorstellung hegte, Tim würde irgendwann kerngesund wiederkommen, oder ob er seinen Sohn einfach abschrieb. Aber das besprach er natürlich nicht mit seinem schwer verletzten Freund, nur abends im Pub. Er betrank sich gemeinsam mit Ernie und Jay. Beide waren erschüttert über Tims Zustand und orderten einen Whisky nach dem anderen.
Die Möglichkeit dazu hatten sie. Sowohl das Lucky Horse als auch das Wild Rover hatten gleich am Tag nach dem Unfall wieder geöffnet. Allerdings lief der Betrieb leiser ab. Weder Lainie noch Kura spielten Klavier; die Männer unterhielten sich mit gedämpften Stimmen und tranken mehr Whisky als Bier, als hofften sie, damit ihre eigenen Ängste zu betäuben.
In den nächsten Tagen fanden die Minenarbeiter zur Routine zurück. Das Weihnachtsfest fiel in diesem Jahr aus. Mit dem Tag der Jahreswende würde es nicht anders sein. Niemand hatte das Bedürfnis zu feiern.
Matt machte sich auf die Suche nach neuen Arbeitskräften und klagte, dass er kaum erfahrene Bergleute fand. Die wenigen Bewerbungen kamen von Männern, die bisher vom Walfang bis zur Goldgräberei so ziemlich alles gemacht hatten; allerdings hatten sie noch nie eine Mine von innen gesehen. Diese Leute mussten jetzt angelernt werden – ein mühsames und langwieriges Geschäft.
Der Reverend setzte die Trauerfeier für die Opfer des Unglücks am folgenden Sonntag an, damit jeder daran teilnehmen konnte.
»Eigentlich sollten die Minen den Männern ja frei geben, zumindest Lambert«, erklärte er Lainie. »Aber bevor ich mich deshalb noch mal mit dem Kerl anlege, gebe ich klein bei.«
Elaine nickte. »Was soll ich spielen?«, erkundigte sie sich und suchte nach ihren Noten. Sie war zur Kirche gekommen, um dem Geistlichen das von Madame Clarisse gesammelte Geld für die Hinterbliebenen zu bringen. Was wieder mal einen Disput auslöste.
Eigentlich hatte der Hausfrauenverband das Spendenmonopol, und die Damen diskutierten hoch, ob man das »sündige Geld« aus dem Bordell überhaupt annehmen könne. Der Reverend selbst – sowie die praktisch veranlagte Mrs. Carey – waren dafür, zumal es sich um eine beträchtliche Summe handelte. Madame Clarisse hatte etwa dreimal so viel aufgebracht wie die ehrbaren Frauen.
»Sehen wir’s doch einfach so«, erklärte Mrs. Carey schließlich, was allgemeines Einverständnis fand. »Madame Clarisse hat hier nur das Geld zurückerstattet, das die Verstorbenen früher im Pub gelassen haben. Das sollte die Männer auch von ein paar Sünden befreien, wo sie jetzt schon ohne Beichte vor ihren Schöpfer treten ...«
»Und was die Musik angeht, ist
Amazing Grace
immer gut«, regte Lainie an und blätterte in der Liturgie für Begräbniszeremonien.
Der Reverend biss sich auf die Lippen. »Bemühen Sie sich nicht, Miss Lainie. Ich hoffe, Sie nehmen es nicht übel, aber ich ... ich habe die Trauerfeier bereits mit Miss Martyn geplant ...«
Elaine blitzte ihn an. »Mit Kura? Schön, dass ich das auch mal erfahre!«
Der Reverend wand sich. »Wir wollten Sie nicht übergehen, Miss Lainie, wirklich nicht. Aber Miss Martyn spielt das Requiem von Mozart überaus ergreifend. Ich habe so etwas nicht mehr gehört, seit ich England verlassen habe. Und ich dachte, weil Sie doch ohnehin schon so viel getan haben ... und noch tun ...«
Elaine stand auf. Sie war so wütend, dass sie es vorzog, zu gehen, bevor sie den Reverend anschrie oder ihm zumindest den wahren Familienstand ihrer bezaubernden Cousine enthüllte.
»Was tue ich denn noch groß?«, fragte sie böse. »Ich hab das Geld hier nicht gesammelt, und ich koche auch nicht für die Trauerfeier wie die Damen vom Kirchenvorstand. Aber ich sehe natürlich ein, dass
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