Das Lied der Maori
Sie hat es gestern schon getragen, als sie mich besuchte. Hoffentlich macht sie sich das nicht zur Gewohnheit.«
Elaine blieb dann wirklich bei Tim, was die klatschsüchtigen Matronen des Ortes zu großer Form auflaufen ließ. Mrs. Leroy erwischte schließlich zwei Damen beim Tratschen und stellte sie verärgert zur Rede.
»Der Mann kann sich kaum rühren! Sie sollten sich schämen, da irgendwelche unzüchtigen Handlungen anzunehmen!«
Mrs. Tanner lächelte wissend. »Mrs. Leroy, gewisse Sachen können Männer immer«, behauptete sie. »Und das Mädchen war mir schon nicht geheuer, als es damals so abgerissen hier ankam.«
Dafür konnte Kura diesmal in Sachen »Guter Ruf« punkten. Sowohl Mrs. Miller als auch Paddy Holloway sonnten sich in ihrem Glanz. Die junge Sängerin gestaltete die Trauerfeier so ergreifend, dass selbst der hartgesottenste Kumpel Tränen in den Augen hatte. Kura selbst weinte ebenfalls und nahm damit alle Herzen für sich ein. So verlor auch niemand ein böses Wort darüber, als Caleb Biller sie nach der Messe zu ihrem wunderschönen Vortrag beglückwünschte und ihr bei der anschließenden Beerdigung seine Begleitung antrug. Kura an seiner Seite bot ein ansprechendes Bild. Sogar seine Mutter, Mrs. Biller, schaute eher interessiert als ungnädig.
Elaine dagegen saß neben dem blendend gelaunten Tim, der sich von der Behandlung durch den Spezialisten aus Christchurch Wunderdinge zu versprechen schien. Der Arzt sollte die Brüche richten und gipsen. Er würde wahrscheinlich Stunden dafür brauchen, doch Tim war der festen Überzeugung, dass es danach schnell heilen würde.
»Ich war immer gesund, Lainie. Und als Kind habe ich mir schon mal den Arm gebrochen. Das war schnell wieder in Ordnung. Ein paar Wochen ...«
Elaine wusste, dass Dr. Leroy eher mit ein paar Monaten in Gipsverbänden rechnete, aber das behielt sie für sich. Sie legte die Zeitung weg, aus der sie Tim vorgelesen hatte, und zog die Vorhänge zu. Der junge Mann protestierte. »Ich kann jetzt unmöglich schlafen, Lainie. Es ist heller Mittag, ich bin doch kein Kleinkind! Kommen Sie, lesen Sie noch etwas, oder erzählen Sie was ...«
Elaine schüttelte den Kopf. »Sie brauchen Ruhe, Tim. Dr. Leroy sagt, es wird morgen anstrengend für Sie.« Sie strich ihm eine Locke aus der Stirn. Tim konnte die Arme bewegen, doch seine Rippen waren gebrochen, was alle anderen Bewegungen des Oberkörpers qualvoll machte. Elaine nahm ihm so viel ab wie möglich, obwohl Tim es hasste, wenn sie ihm beim Essen oder Trinken half. Die unvermeidlichen Pflegetätigkeiten ließ er sich nur von Mrs. Leroy gefallen, und selbst das war ihm überaus peinlich.
Elaine richtete vorsichtig seine Decke. Sie war so besorgt und nervös, dass sie hätte weinen können. Sie konnte Tims Optimismus nicht teilen. Außerdem hatte Dr. Leroy nicht »anstrengend« gesagt, sondern »schmerzhaft«. Das Richten der Brüche würde eine Tortur, und es war ausgeschlossen, dass Tim sie dabei duldete. Elaine hoffte, dass es Berta Leroy gelang, auch Nellie Lambert zurückzuhalten.
Tim lächelte ihr zu, so unwiderstehlich wie früher. Elaine hatte wieder das Bild des gesunden Tim beim Pferderennen vor sich. Sie streichelte ihm beruhigend über die Stirn.
Er zwinkerte ihr zu. »Am besten kann ich mich ausruhen, wenn Sie meine Hand halten«, behauptete er. Plötzlich war dieses Funkeln in seinen Augen, das Elaine so oft bei Thomas Sideblossom gesehen und zu fürchten gelernt hatte. »Während es mich eher aufregt, wenn Sie so über meine Stirn streicheln. Ich bin trotz allem noch ein Mann ...«
Er tastete nach ihrer Hand, aber dann sah er ihr Gesicht und hätte sich für seine Worte ohrfeigen können.
Der sanfte, vertrauensvolle Ausdruck in Lainies Augen wich Argwohn und Angst. Sie zog ihre Hand so heftig zurück, als hätte sie sich verbrannt. Natürlich würde sie bei ihm bleiben; sie hatte es Mrs. Leroy schließlich versprochen. Aber sie würde ihre Hand an diesem Tag ganz sicher nicht mehr in seine legen.
Am nächsten Tag war sie allerdings wieder da und fragte sich reuevoll, wie sie so viel Angst vor Tim hatte verspüren können und warum es ihr obendrein nicht gelungen war, diese Furcht zu verbergen. Sie war auch den Rest des Tages ziemlich kühl mit ihm umgegangen, und er war ernüchtert gewesen, als sie ihn verließ. Dabei hätte er jeden Optimismus und jede Hilfe brauchen können. Elaine ahnte die Katastrophe schon, bevor sie ihn sah. Schließlich traf
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