Das Lied der Maori
spendierten ihr einen Drink nach dem anderen. Dieser Abend würde ihre Taschen wieder mal füllen.
»Haben Sie es sich überlegt, Miss Kura?«, meinte Caleb schließlich und warf einen beinahe furchtsamen Blick zur Tür.
Ein kräftiger blonder Mann in reiferem Alter trat ein und begrüßte Paddy mit dröhnender Stimme.
»Holloway, alter Gauner! Ich hab das Gejaule bis auf die Straße gehört, und da dachte ich, ich hol meinen Sohn da besser raus, bevor er trübsinnig wird. Ist ja traurig, die Sache mit der Lambert-Mine, andererseits sind die Kerle selber schuld, hätten ja bei mir anheuern können! Wie all die guten, vernünftigen Hauer hier in diesem Pub! Einmal Freibier für die Männer aus der Biller-Grube!« Mit den letzten Worten wandte der Mann sich an die Trinker im Pub und erntete die erwarteten Ovationen. Kura erkannte ihn jetzt auch wieder: Josuah Biller, Calebs Vater. Sie hatte ihn auf der Trauerfeier kurz gesehen. Caleb schien allerdings nicht begeistert von seinem Auftauchen. Er machte den Eindruck, mit seinem Whiskyglas im Boden neben dem Piano versinken zu wollen.
Biller trank seinen Leuten kurz zu und gesellte sich dann zu Caleb. Er schien allerdings ganz angetan von dem, was er sah.
»Nanu, Junge, ich dachte, du begleitest das allgemeine Gejammer! Entschuldigen Sie, Miss, aber wenn mein Sohn in die Tasten greift, klingt es immer wie auf ’ner Beerdigung. Sie dagegen sind ja wenigstens ein hübscher Anblick, und Sie können doch bestimmt auch was Fröhliches spielen!«
Kura nickte steif. Dieser Mann gehörte zu dem Typ, der fast immer versuchte, sie anzutatschen, und die Sache derart plump einleitete, dass sich selbst eine eher aufgeschlossene Frau in ihr Schneckenhaus zurückzog.
»Sicher«, sagte sie. »Ihr Sohn und ich sprachen über die Musik der Maoris, speziell den
haka
. Dieser hier, Mr. Caleb, ist zum Beispiel ein fröhlicher Tanz. Er erzählt von der Rettung des Häuptlings Te Rauparaha, der sich in einem Erdloch vor seinen Feinden versteckt. Zunächst erwartet er, von ihnen gestellt zu werden, aber dann meldet ein Freund – in manchen Fassungen auch eine Frau –, dass die Männer abgezogen sind. Der Gesang drückt zuerst seine Furcht und dann seine Freude aus.«
Kura schlug in die Tasten und begann zu singen
»Ka mate, ka mate, ka ora, ka ora ...«
Caleb lauschte verzückt, sein Vater eher ungeduldig.
»Wie es scheint, dichten selbst die Maoris über nichts anderes als dunkle Löcher. Aber deine kleine Freundin ist entzückend, Caleb. Willst du sie mir nicht vorstellen?«
Kura glaubte es kaum, aber Caleb erhob sich tatsächlich formvollendet und präsentierte Kura seinem Vater wie ein Gentleman.
»Kura-maro-tini Martyn.«
»Josh Biller«, brummte der Alte. »Doch, sehr hübsch. Krieg ich jetzt einen Whisky, Paddy?«
Josuah Biller trank in aller Ruhe drei Gläser Scotch, wobei er kein Auge von Kura und seinem Sohn ließ. Caleb benahm sich dabei untadelig, während Kura auf die Dauer nervös wurde. Immerhin hatte sie zu tun; die Bergleute wollten mehr sentimentale Volkslieder – und Caleb traute sich sowieso nicht mehr, nach weiteren
haka
zu fragen. Nach einer Stunde verabschiedeten sich beide Billers förmlich, und Josh nickte Kura im Herausgehen noch einmal zu.
»Sehr hübsches Mädchen, Cal!«
Kura fand die beiden Männer eher seltsam. Aber das war noch nichts im Vergleich zu ihrer Überraschung am nächsten Tag. Sie hatte lange geschlafen – wie immer, wenn sie bis in die Nacht im Pub Klavier gespielt hatte. Das Frühstück ließ sie dann meist aus und aß nur ein paar Sandwiches zum Lunch. Aber diesmal klopfte das schüchterne Maori-Hausmädchen von Mrs. Miller an ihre Tür und überbrachte eine Einladung.
»Mrs. Miller hat Besuch und möchte Sie ebenfalls zum Tee bitten.«
Kura sah auf die jahrzehntealte Standuhr, die sie oft mit ihrem überlauten Ticken wach hielt, und registrierte die Zeit.
Elf Uhr. Optimal für einen Anstandsbesuch unter vornehmen Damen. Miss Witherspoon hatte ihr erklärt, dass es früher ungehörig sei, weil die Dame noch schlafen könnte. Und später würde der Besuch die Vorbereitungen des Mittagessens stören.
Kura zog sich etwas sorgfältiger an als sonst; allerdings waren ihre sämtlichen Kleider bereits ziemlich verschlissen. Auf die Dauer musste sie Geld zusammensparen und sich etwas Neues machen lassen. Sie ging hinunter, wobei das Mädchen sie nicht ins Frühstückszimmer führte, in dem Mrs. Miller gewöhnlich
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