Das Lied der Maori
geblieben, bis er eingeschlafen ist«, sagte Elaine. »Aber das war gar nicht so lange, er war ja todmüde.«
»Mehr war da nicht?«, fragte Berta ungläubig. »Sie haben nur ein bisschen Händchen gehalten, und damit war alles wieder gut?«
Elaine lächelte. »Nicht ganz. Nebenbei haben wir uns ... so ein bisschen ... verlobt.«
8
»Sie müssen mir helfen, Kura! Sie sind die Einzige, die mir helfen kann!« Caleb Biller erschien an einem Donnerstag kurz vor Mitternacht im Wild Rover, viel später als gewöhnlich und völlig aufgewühlt. Er wirkte auch ungewöhnlich elegant gekleidet für einen Besuch im Pub. Sein grauer Dreiteiler passte eher zu einem förmlichen Abendessen. Und er konnte es kaum abwarten, bis Kura ihr Stück zu Ende gespielt hatte, bevor er sie ansprach, schaffte es aber immerhin, zwischendurch noch einen Whisky herunterzuschütten.
»Was ist denn los, Caleb?«, fragte Kura belustigt. Sie war inzwischen an Calebs mitunter seltsame Reaktionen auf mehr oder weniger läppische Probleme des Alltags gewöhnt, wie sie den jungen Mann in den letzten Monaten überhaupt näher kennen gelernt hatte. Seit dem Tanz des Jünglings im Maori-Dorf hatte sie jegliche Anstrengungen eingestellt, ihr Bedürfnis nach körperlicher Liebe von Caleb Biller stillen zu lassen. Für sie stand inzwischen fest, dass er die Neigungen einiger Mitglieder des Barrister-Ensembles teilte, sich also eher zum eigenen Geschlecht hingezogen fühlte. Kura registrierte dies völlig vorurteilsfrei, weil die behütet aufgewachsene Warden-Erbin nie mit Ressentiments über Homosexualität konfrontiert worden war. Sie hatte diese Eigenart menschlichen Glücksstrebens überhaupt erst unter den Künstlern kennen gelernt, und da nahm man sie als alltäglich hin. Kura verstand deshalb nicht, warum Caleb ein solches Geheimnis daraus machte, aber sie begriff inzwischen ihre Rolle im Hause Biller: Calebs Eltern waren sogar bereit, eine hergelaufene Barsängerin mit Maori-Ahnen zu akzeptieren, solange es nur ein Mädchen war.
»Sie wollen, dass ich mich verlobe!«, brach es aus Caleb heraus. Viel zu laut eigentlich, doch an einem Wochentag um diese Zeit war im Pub nichts los. Die Bergarbeiter waren bereits gegangen, und die paar letzten Zecher an der Bar hatten anscheinend genug mit eigenen Problemen zu tun. Nur Paddy Hollister schaute feixend hinüber, was Caleb allerdings gar nicht auffiel.
»Im Ernst, Kura, sie haben es natürlich nicht so gesagt, aber diese Anspielungen! Und das Mädchen ... wie es sich verhielt. So als wüsste sie genau, dass sie die künftige Mrs. Biller sein wird. Das ist alles abgesprochen, und ...«
»Langsam, Caleb. Welches Mädchen?« Kura wechselte einen Blick mit Paddy, der ihr damit wortlos zu verstehen gab, dass er keine Einwände erheben würde, wenn sie die Arbeit für heute einstellte. Stattdessen brachte er zwei Gläser für Kura und Caleb an einen abgelegenen Tisch.
»Sie heißt Florence ...« Caleb schüttete den zweiten Whisky herunter. »Florence Weber, von der Weber Mine bei Westport. Und sie ist wirklich ganz hübsch, sehr gebildet ... man kann sich über alles mit ihr unterhalten, aber ...«
Kura nahm ebenfalls einen Schluck und vermerkte wohlgefällig, dass Paddy auch ihr Single Malt eingeschenkt hatte. Der Wirt meinte wohl, sie könnte es brauchen.
»Also noch mal, Caleb. Ihre Eltern haben heute ein Dinner gegeben, ja?« Das war unschwer an Calebs Kleidung abzulesen. »Für diese Familie Weber aus Westport. Und dabei hat man Ihnen das Mädchen vorgestellt ...«
»Vorgestellt? Sie haben sie präsentiert wie eine Debütantin. Sogar im weißen Kleidchen ... na ja, fast weiß, ein bisschen grün war auch dabei. So Applikationen am Ausschnitt, wissen Sie ...«
Kura verdrehte die Augen. Auch das war typisch für Caleb. Er würde es nie schaffen, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, sondern wurde immer wieder von Details in Anspruch genommen. Bei ihrer gemeinsamen Arbeit war das hilfreich – und vor allem die Maoris wussten es zu schätzen. In den letzten Monaten hatten Kura und Caleb häufiger Dörfer aufgesucht, um
haka
zu studieren, und Caleb konnte stundenlang mit irgendeinem
tohunga
in dessen Arbeit versinken und über die Stilisierung eines Farns in einer typischen Schnitzerei debattieren. Er hatte in Windeseile die Sprache der Maoris gelernt und merkte sich selbst ausgefallene Begriffe – fast eher als Allerweltsworte wie »Wasser« und »Dorf«. Besonders alltagstauglich
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