Das Lied der Maori
Mach dieser Florence ein oder zwei Kinder, dann ist sie beschäftigt, und du suchst dir eine hübsche Mätresse.«
Caleb wirkte daraufhin so verzweifelt, dass selbst Paddy ein Einsehen hatte und Kura gleich vom Klavier wegwinkte.
»Heitere den Knaben mal etwas auf, Mädchen, das ist ja nicht zum Ansehen ... aber dabei verkaufst du ihm gefälligst eine ganze Flasche Malt, verstanden? Sonst trägst du den Verdienstausfall!« Kura verdrehte die Augen. Paddy war wirklich ungemein feinfühlig. Dabei nahm er wahrscheinlich schon Wetten darauf an, ob und wann es dem Weichei Caleb Biller jemals gelingen würde, Florence Weber zu schwängern.
»Sie ist furchtbar«, murmelte Caleb und schien sich beim Gedanken an das Mädchen geradezu zu schütteln. »Sie wird mich gänzlich unter sich begraben ...«
»Das kann passieren«, meinte Kura trocken, wobei sie an Florence’ zu erwartende Körperfülle dachte. »Aber du musst sie ja nicht heiraten. Keiner kann dich zwingen. Pass auf, Caleb, ich hab nachgedacht.«
Das hatte sie tatsächlich, und sie hatte dabei zum ersten Mal im Leben die Probleme anderer Leute gewälzt! Kura konnte das selbst kaum fassen; andererseits kam das Ergebnis ihrer Bemühungen auch ihr selbst zugute. Nun schenkte sie Caleb ein großes Glas Whisky ein und breitete ihre Überlegungen vor ihm aus.
»Du könntest hier in Greymouth nie und nimmer mit einem anderen Mann zusammenleben«, erklärte sie. »Die Leute würden über dich reden, und deine Eltern würden dir eine Florence Weber nach der anderen ins Haus schleppen. Irgendwann wärst du mürbe, Caleb. Das geht nicht. Also bliebe dir nur ein Leben als Junggeselle. Aber du bist ein Künstler. Du spielst sehr gut Klavier, du komponierst, arrangierst. Und es besteht kein Grund dafür, dass du deine Begabungen nur an die Öffentlichkeit bringst, nachdem du dich im Pub betrunken hast.«
»Ich bitte dich, Kura! Hast du mich jemals betrunken gesehen?« Caleb sah sie indigniert an, schenkte sich dann aber den dritten Whisky ein.
»Na ja, nicht betrunken, aber angesäuselt«, entgegnete Kura. »Ein Künstler braucht allerdings den Mut, sich auch ganz ohne Whisky ans Klavier zu setzen. Worauf ich hinauswill ... Wir könnten einen Vortragsabend zusammenstellen, Caleb. Du arrangierst ein paar
haka
sowie Lieder, die wir gesammelt haben, für Klavier und Gesang. Oder für zwei Klaviere mit Gesangsbegleitung oder für zweihändiges Spiel. Je mehr Stimmen, desto besser kommt es an. Wir erproben das Programm hier und in Westport, und dann gehen wir auf Tournee. Erst auf der Südinsel, dann auf der Nordinsel. Dann geht es nach Australien, nach England ...«
»England?« Caleb blickte hoffnungsvoll. Er träumte wohl nach wie vor von seinen Freunden im Internat. »Du meinst, wir könnten so viel Erfolg haben?«
»Warum nicht?«, entgegnete Kura selbstbewusst. »Mir gefallen deine Arrangements, und es heißt doch, die Londoner mögen es exotisch. Einen Versuch ist es allemal wert. Du musst dich nur trauen, Caleb. Dein Vater ...«
Caleb kaute auf der Unterlippe. »Mein Vater wird nicht begeistert sein. Aber zuerst könnten wir ja im Rahmen von Wohltätigkeitsveranstaltungen auftreten. Meine Mutter ist da engagiert, und Mrs. Weber ...«
Kura lächelte sardonisch. »Vor allem
Miss
Weber wird zweifellos entzückt sein. Also, machen wir’s? Wenn du willst, können wir jeden Abend üben. Nachdem die Mine geschlossen hat, und bevor der Pub öffnet.«
Wie erwartet machte Florence Weber gute Miene zum bösen Spiel und tat, als begeistere sie sich regelrecht für die Musik der Maoris. Die Webers hatten inzwischen glücklicherweise ein Haus in Greymouth gemietet, und Florence und ihre Mutter verbrachten ihre Zeit schwerpunktmäßig mit dessen Einrichtung. Mrs. Biller schwärmte Caleb täglich vor, wie viel Geschmack und Geschick Florence dabei entwickele, während Florence ihn spielerisch um Rat fragte, wenn es um Tapetenfarben oder Sesselbezüge ging.
Kura registrierte belustigt, dass ihm das sogar Spaß machte. Caleb war ein Schöngeist; er konnte jeder auch nur entfernt künstlerischen Tätigkeit etwas abgewinnen, wenngleich sein Hauptinteresse der Musik galt. Florence dagegen studierte mit ernstem Gesicht Calebs Partituren, obwohl zumindest Kura bezweifelte, dass das Mädchen sie lesen konnte. Miss Weber war eine eher praktische Natur und machte sich denn auch bald zur Gewohnheit, Caleb zu seinen Übungsstunden mit Kura zu begleiten. Das fachte natürlich
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