Das Lied der Maori
auch mein Mann haben ihn heute erst mal für nicht transportfähig erklärt ...«
»Ist es so schlecht verheilt?«, fragte Lainie leise.
Berta schüttelte den Kopf. »Ach was. Ganz gut sogar. Über die Hüfte ist Dr. Porter ganz begeistert, auch wenn sie natürlich leicht verschoben ist. Aber auch sonst findet er, dass Tim zu den schönsten Hoffnungen berechtigt ist. Wobei seine schönsten Hoffnungen in zwei Schritten an Krücken zwischen Rollstuhl und Bett bestehen. So drastisch hätte das nicht mal mein Christopher ausgedrückt. Tim ist natürlich am Boden zerstört. Mit Nellie hatten wir das übliche Heulkonzert ... Gib ihm auf keinen Fall Morphium oder irgendwas anderes in die Hand, mit dem man sich etwas antun kann. Ich fürchte, er ist da zu allem entschlossen.«
Elaine kämpfte mit den Tränen, als sie die Tür zu Tims Zimmer öffnete. Doch sie griff entschlossen zu den Krücken und nahm sie mit hinein.
Im Zimmer musste sie erst einmal blinzeln. Tim lag im Halbdunkeln – wie so oft, wenn Nellie ihn verließ. Aber gewöhnlich pflegte er dann gleich nach Berta zu rufen und sie zu bitten, das Fenster wieder zu öffnen. Jetzt hätte er die Lampe auf dem Nachttisch allerdings auch selbst erreichen können. Er lag nicht wie sonst flach im Bett, sondern war in halb sitzender Lage auf Kissen gestützt. Er wandte jedoch nicht den Kopf, als Lainie eintrat. Stattdessen starrte er regungslos auf die Wand ihm gegenüber.
»Tim ...« Elaine wollte sich spontan an sein Bett setzen; dann aber sah sie sein Gesicht und den altbekannten Ausdruck von Schmerz und mühsamer Beherrschung. Er würde jetzt keine Berührung ertragen.
»Tim ...« Elaine stellte die Krücken neben das Bett und zog die Vorhänge auf. Tims Gesicht war totenblass und wirkte abwesend. Elaine lächelte ihm zu. »Das sieht doch schon ganz gut aus«, meinte sie freundlich. »Sieht fast aus wie Sitzen ... womit du meine Augenhöhe mühelos erreichst, wenn ich mich ebenfalls hinsetze.«
Über Tims Züge ging ein schwaches Lächeln.
»Mehr wird es aber kaum werden«, sagte er leise. »Ich werde nie wieder gehen können.« Er wandte ihr jetzt immerhin das Gesicht zu.
Elaine strich ihm vorsichtig über die Stirn. »Tim, du bist jetzt müde und enttäuscht. Aber so schlimm ist es gar nicht. Miss Berta war ganz optimistisch ... und schau, was ich dir mitgebracht habe!« Sie zeigte auf die Krücken. »Pass auf, in ein paar Wochen ...«
»Ich schaffe das nicht, Lainie. Sagt mir doch einfach die Wahrheit!« Tim wollte wütend klingen, doch seine Stimme klang erstickt. Elaine sah Tränen in seinen Augen und erkannte jetzt auch, dass sie rot gerändert waren. Er musste geweint haben, als er allein war. Sie kämpfte gegen das Verlangen an, ihn wie ein Kind in den Arm zu nehmen. Aber so durfte sie nicht an ihn denken! Wenn jeder nur einen hoffnungslosen Krüppel in ihm sah ...
»Die Wahrheit hängt ganz von dir allein ab!«, erklärte sie fest. »Es kommt darauf an, wie lange du übst, wie viel du aushältst ... und du hältst eine Menge aus! Soll ich dir jetzt mal helfen, dich wieder hinzulegen? Du hast doch Schmerzen. Wieso haben sie dich überhaupt so liegen lassen?«
Tim gelang ein knappes Lächeln. »Ich hab sie rausgeworfen. Ich konnte es nicht mehr ertragen – worauf mich beide Doktoren für nicht zurechnungsfähig erklärten. Nur deshalb bin ich noch hier. Ansonsten hätten sie mich gleich in dieses Ding da gepackt ...« Elaine erfasste lodernde Wut, als sie den Rollstuhl sah, den Mrs. Lambert und die Pflegerin in einer Ecke des Zimmers deponiert hatten. Ein voluminöses Ding, mit Kopfstütze und Blütenpolster. Elaine hätte so etwas für eine alte Dame ausgesucht, die nur noch von einem Zimmer zum anderen geschoben wird. Es selbst mit Hilfe der Arme zu bewegen, wie sie es gelegentlich bei Gelähmten auf den Straßen von Queenstown gesehen hatte, war fast unmöglich. Tim würde in dem Stuhl mehr in weichen Polstern liegen als sitzen.
»Mein Gott, gab es denn da kein anderes Modell?«, brach es aus ihr heraus.
Tim zuckte die Schultern. »Das hier entsprach offensichtlich ganz dem Geschmack meiner Mutter«, sagte er bitter. »Lainie, da komme ich nie mehr heraus! Aber vielleicht hilfst du mir jetzt wirklich. Wenn ich liege, brauche ich es wenigstens nicht mehr anzusehen.«
Elaine stützte seinen Kopf und versuchte, die Kissen so vorsichtig unter seinem Körper wegzuziehen, dass er langsam zurück in liegende Position kam. Das war allerdings nicht so
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