Das Lied der Maori
den Dorfklatsch an, und Caleb ging durch die Hölle. Kura betrachtete es eher gelassen. Ihr neuer Partner musste sich sowieso daran gewöhnen, vor Publikum zu spielen. Da konnte er auch gleich mit der schwersten Prüfung anfangen. Und das war Florence Weber zweifellos. Sie kritisierte hemmungslos und traf dabei sogar oft den Punkt. Kura nahm viele ihrer Anregungen an, auch wenn die Kritik weniger konstruktiv als böswillig gemeint war.
»Müssten Sie dieses Lied nicht durch ein paar ... wie soll ich es ausdrücken ... sprechende Gesten begleiten?«, erkundigte sie sich nach dem Liebeslied von Kuras Gespielen bei den Pancake Rocks. Es war inzwischen sowohl zu Kuras als auch Calebs Lieblingsstück avanciert. Calebs Arrangements klangen kunstvoll und verspielt und standen damit in krassem Gegensatz zu den sehr eindeutigen Worten. Caleb verstand sie inzwischen, hätte sie Florence aber selbstverständlich nie übersetzt. Doch Kuras Stimme hatte Ausdruck, und Calebs mal aufpeitschende, mal fragend umschmeichelnde Läufe brachten Florence ganz von selbst auf die richtige Spur. Caleb errötete zutiefst, als sie mit harmloser Miene ihre Frage stellte, doch Kura lächelte nur, sang das Lied noch einmal und ließ die Hüften dabei so aufreizend schwingen und stoßen, dass Paddy Holloway fast die Augen aus dem Kopf fielen, und Florence Weber erst recht.
»Beim Reverend halte ich mich natürlich ein bisschen zurück«, sagte Kura anschließend, als Florence ausnahmsweise mit hochrotem Kopf verschwunden war. Inzwischen war ihr erstes Konzert in Greymouth anberaumt. Sie würden beim Kirchenpicknick ihr Programm vortragen; die Einnahmen kamen erneut den Angehörigen der Unglücksopfer aus der Lambert-Mine zugute. Außerdem war, dank Mrs. Billers Vermittlung, eine Aufführung in einem der Hotels am Kai geplant. Kura freute sich auf diese Auftritte; Caleb dagegen starb fast vor Nervosität.
»Nun stell dich nicht so an, du Künstler!«, neckte Kura ihn schließlich. »Denk lieber an den wunderschönen Körper von unserem Maori-Freund und wie nett es wäre, wenn er jetzt hier sein und zu deinem Lied tanzen könnte. Aber fang dabei nicht an, mit den Hüften zu stoßen, sonst kippst du das Klavier um!«
William Martyn ließ die größeren Orte an der Westküste erst einmal links liegen. Er ging davon aus, dass Latimer dort bereits jeder auch nur halbwegs interessierten und zahlungsfähigen Frau eine Nähmaschine verkauft hatte. Blieben also nur die Bergarbeiterfrauen, und bei denen war vermutlich nichts zu holen. Stattdessen konzentrierte William sich auf Einzelansiedlungen und hatte unerwartete Erfolge in Maori-Dörfern. Gwyneira McKenzie hatte ihm einmal gesagt, dass die Eingeborenen auf Neuseeland sich ungewöhnlich schnell den Sitten der
pakeha
anpassten. Schon jetzt trugen fast alle Maoris westliche Kleidung; warum sollten die Frauen also nicht lernen, diese Sachen selbst zu nähen? Natürlich war auch hier das Geld ein Problem. Es würde kaum möglich sein, den Maoris das System der Ratenzahlung nahezubringen. Allerdings waren die Stämme zum Teil durch Landverkauf zu Geld gekommen, das dann meist der Häuptling verwaltete.
William entwickelte rasch ein System, den Stammesführern klarzumachen, dass sie in der Gunst der Damen im Stamm blitzartig aufsteigen und obendrein den Respekt der
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erwerben könnten, indem sie sich den Segnungen der modernen Welt nicht weiter verschlössen. Wenn er hier seine Singer vorführte, stand meist der ganze Stamm wie gebannt um ihn herum und betrachtete die rasch genähten Kinderkleidchen mit großen Augen, als hätte William sie aus der Luft gezaubert. Die Frauen erlernten den Umgang mit der Maschine schnell, und sie konnten sich wie Kinder daran begeistern. Womit die Singer natürlich sofort zum Statussymbol avancierte. Es war selten, dass William einen Stamm ohne Vertragsabschluss verließ; obendrein waren die Maoris gastfreundlich und aufgeschlossen. Verpflegungs und Übernachtungskosten fielen nicht an. William verfluchte nur manchmal seine schlechten Sprachkenntnisse. Er hätte sich sonst leichter nach Kura erkundigen und die Spur wieder aufnehmen können, die bei Gwyneiras letzter Suche bei den Maoris von Blenheim geendet hatte. Nun ging das natürlich auch auf Englisch. Die meisten Maoris sprachen die Sprache der
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zumindest gebrochen und verstanden fast alles. Aber William hatte oft den Eindruck, dass die Leute ihm nicht alles erzählten oder sogar
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