Das Lied der Maori
falsche Land, die falsche Zeit ... was weiß ich. Neuseeland braucht offensichtlich keine Carmen. Ich hätte Miss Gwyns Angebot annehmen sollen. Aber da hatte ich’s noch nicht erkannt.«
»Da hast du vor allem noch geglaubt, Roderick Barrister würde dir die Welt zu Füßen legen.« William grinste.
»Das kann man so sagen«, erwiderte Kura lächelnd und verschloss seinen Mund mit einem Kuss.
Sie liebten sich stürmisch, und dann erzählte Kura William von ihrem Projekt mit Caleb Biller. William lachte schallend über ihre »Verlobung«.
»Das heißt, wir müssen den Knaben nun bald in den Rang eines ›Künstlers‹ erheben, damit die Leute nicht tuscheln, du hättest ihm das Herz gebrochen. Oder er heiratet die fabelhafte Florence Weber. Vor der würde ich mich auch zu Tode fürchten!« Florence hatte die Nähmaschinendemonstration besucht und bohrende Fragen gestellt.
»Oh, Caleb ist wirklich ein Künstler. Du hast ihn doch am Samstag gehört. Er ist der beste Pianist, den ich kenne, und er hat das absolute Gehör ...« Kura ließ nichts auf Caleb kommen.
»Aber wenn er vor mehr als drei Leuten spielen soll, hat er die Hosen voll. Großartig. Am Samstag habe ich übrigens nur dich gehört, Allerschönste. Aber ich denke, der wunderbare Caleb Biller wird mir heute Abend nicht erspart bleiben. Wollen wir jetzt ... den Geistern noch ein bisschen huldigen?«
Caleb Biller und William Martyn verstanden sich erstaunlich gut. Kura hatte sich zuerst Sorgen gemacht, William könnte ihren Partner aufziehen und sich über ihn lustig machen. Tatsächlich aber erkannte er Calebs Potenzial binnen kürzester Zeit. Am Montag war kaum etwas los im Pub. Die wenigen Zecher hatten keine Musikwünsche, sondern vertranken still ihre Wettgewinne vom Wochenende oder versuchten, die Verluste im Whisky zu ertränken. So hatten Kura und Caleb Zeit und Paddys Segen, William ihr gesamtes Programm vorzutragen. Kura sang und spielte die
pecorino
sowie die
koauau
, eine handgroße, reich verzierte Flöte, die mit der Nase geblasen wurde. Caleb begleitete sie und geriet dabei mitunter aus dem Takt, weil sein kundiger Zuhörer ihn nervös machte. Es war auch nicht sein Klavierspiel, das William überzeugte. Es mochte ja sonst besser sein, aber im Grunde fand man einen Pianisten wie Caleb in jeder besseren Musikschule. Doch was das Arrangement der Stücke anging, war Caleb zweifellos der Kopf des Duos. Die Verbindung der einfachen Melodien der
haka
mit komplizierten Läufen am Klavier, das Zwiegespräch zwischen den so unterschiedlichen Instrumenten, der musikalische Brückenschlag zwischen den Kulturen entsprang dem kreativen Geist Caleb Billers. Kura war eine begnadete Interpretin; sie würde die Seele einer jeden Musik perfekt verkörpern. Aber diese Seele zu formen, herauszuarbeiten und auch den Ohren von Laien zu erschließen, dafür brauchte es mehr als Stimme und Ausdruck. Caleb Biller war zweifellos ein Künstler, wenn auch vom Lampenfieber geplagt.
»Da müssen Sie drüber wegkommen«, sagte William, nachdem er seiner Faszination Ausdruck verliehen hatten. »Beim letzten Mal, als ich draußen zugehört habe, war es viel besser. Und Sie haben doch keinen Grund, nervös zu sein! Was Sie machen, ist großartig. Damit können Sie nicht nur hier Furore machen, das wird Europa erobern!«
Kura warf ihm einen ungläubigen Blick zu.
»Dafür reicht es nicht, großartig zu sein«, sagte sie dann. »Auch wenn ich das früher gedacht habe. Aber Konzertorganisation ... das geht nicht so einfach. Dafür muss man Räume anmieten, Werbung machen und gute Konditionen aushandeln. Man braucht einen Impresario, wie damals Roderick Barrister.« Sie seufzte.
William verdrehte die Augen. »Süße, vergiss mal deinen Roderick Barrister! Der hat überhaupt nichts getan, außer in Europa ein paar drittklassige Sänger und ein paar hübsche Tänzerinnen anzuwerben. Es reicht aber nicht, ein paar Handzettel zu verteilen. Es muss auch mit der Presse gesprochen werden; man muss Mäzene gewinnen, die richtigen Leute in die Konzerte locken ... in eurem Fall vielleicht örtliche Maori-Stämme zum Mitmachen bewegen. Die gesamte Organisation lag in den Händen von George Greenwood. Deshalb war es auch erfolgreich. Ihr braucht einen Geschäftsmann an eurer Seite, Kura, keinen Vorsänger. Und keine Wohltätigkeitsdamen und Reverends. Das hat immer den Ruch von ›Wollen und nicht Können‹. Ihr braucht große Säle, Hotels oder Kongresszentren.
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