Das Lied der Maori
Tanz natürlich nicht eröffnen konnten. Tim übte verbissen, um es trotzdem zu tun. Der arme Roly geriet aus der Rolle einer männlichen Krankenschwester auch noch in die einer Tanzpartnerin.
Tim bekam fast einen Panikanfall, als er die Verlobungsanzeigen in sämtlichen Zeitungen der Westküste las. Am liebsten hätte er Lainie kaum noch aus den Augen gelassen; jeder Fremde in der Stadt jagte ihm Angst ein. Tim plante jetzt auch ernstlich die Auswanderung. Obwohl er inzwischen durchaus fähig gewesen wäre, jeden Tag ein paar Stunden im Büro der Mine zu arbeiten, blockte sein Vater sämtliche Vorstöße in dieser Richtung weiterhin ab. Tim führte das inzwischen nicht mehr nur auf seine Behinderung zurück: Marvin Lambert wollte irgendetwas verbergen. Wahrscheinlich waren die Bilanzen noch schlechter, als Matt es schon andeutete. Die Mine machte Verlust, und der Eisenbahnbau kam in diesem sehr feuchten Winter kaum weiter. Mit schnellem Profit aus Lamberts Investitionen war nicht zu rechnen – und Nellie gab das Geld mit beiden Händen aus, um mit einer Verlobungsfeier zu protzen. Wenn das so weiterging, war nichts mehr zu retten. Tim rechnete damit, dass die Mine stillgelegt werden musste, noch während die wichtigsten Renovierungsarbeiten liefen. Das bedeutete einen enormen weiteren Verlust. Man würde es der Bank erklären müssen, und Tims Vater machte keine Anstalten, den dringend notwendigen Kredit auch nur zu beantragen. Dazu kam die ständige Gefahr, in der Lainie steckte.
Tim hatte genug. Er wollte weg, möglichst noch vor der Hochzeit. Oder gleich nach einer kleinen, geheimen Trauung und einem Umtrunk mit seinen Freunden im Pub. Die Überfahrt und die Organisation ihres neuen Lebens in England oder Wales wären einfacher, wenn sie bereits geheiratet hätten.
Elaine aber fieberte erst einmal der Verlobung entgegen. Sie konnte sich nicht helfen, irgendwie freute sie sich auf das Fest – auch weil Nellie Lambert sie nun endlich ernst nahm. Wirklich warm wurden die Frauen allerdings nicht miteinander. So stießen sie schon bei der Frage nach Lainies Kleid für die Feier wieder aneinander. Nellie wollte es bei Mortimer schneidern lassen oder noch besser einen fast unbezahlbaren Traum aus Tüll und Seide aus Christchurch kommen lassen. Lainie dagegen betraute Mrs. O’Brien und ihre neue Manufaktur mit dem ersten wirklich großen Auftrag. Auch hier hatte es in den letzten Wochen böses Blut gegeben. Die Nähmaschinen waren eingetroffen, und wie versprochen unterrichtete William die Frauen aus der Bergarbeitersiedlung. Als es dann aber um die Leitung des Unternehmens ging, geriet die überaus fähige Mrs. Carey mit der nicht minder fähigen Mrs. O’Brien aneinander. Rolys Mutter war eine geschickte Schneiderin, und sie hatte Sinn fürs Geschäft. So begann sie gleich mit der Produktion einfacher Kinderkleidchen, die so preiswert waren, dass es sich nicht mal für die ärmste Bergarbeiterfrau lohnte, selbst zu nähen. Mrs. Carey jedoch war dafür, zunächst die Ausbildung der Näherinnen abzuschließen und den Räumen der Manufaktur – für die Lambert widerwillig einen alten Schuppen bei seiner Mine zur Verfügung gestellt hatte – »etwas Seele zu geben«, wie sie es ausdrückte.
»Ich nähe doch nicht wochenlang Vorhänge für diesen Schuppen!«, beklagte sich Mrs. O’Brien beim Reverend. »Und die Wände streichen brauchen wir auch nicht, erst recht nicht in einem ›warmen Altrosa‹. Wenn überhaupt, werden sie gekalkt! Ich brauche Geld, Reverend! Seele hab ich schon!«
Mrs. O’Brien setzte sich schließlich durch. Mrs. Carey war beleidigt und sprach von »Undankbarkeit«. Die Frauen in der Manufaktur sahen es gelassen. Das Geschäft lief recht gut an. Wenn es so weiterging, würden sie dem Kirchenvorstand die Nähmaschinen in ein oder zwei Jahren abzahlen können.
Nun nahm Mrs. O’Brien bei Lainie Maß und begeisterte sich an dem blauen Samt, den das Mädchen für ihr Verlobungskleid gewählt hatte.
»Das ist wunderschön, und ich kann das Kleid auch später anziehen!«, begründete Elaine ihre Wahl gegenüber Tim. »Im Gegensatz zu diesen Flatterdingern aus Christchurch.«
»Zu unserer Hochzeit zum Beispiel«, bemerkte Tim. »Überleg dir das mit dem Durchbrennen, Lainie. Ich hab bei dieser Verlobungsgeschichte ein ganz schlechtes Gefühl ...«
Ein schlechtes Gefühl hatte auch William Martyn, als er Caleb Biller am Sonntag vor dem Verlobungsfest in der Kirche sah. Der junge Mann
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