Das Lied der Maori
Vergangenheit. Über dem Haus entlud sich soeben das Feuerwerk, und James erinnerte sich, wie er damals in einer Sylvesternacht zum ersten Mal mit Gwyneira getanzt hatte. Auch heute schwenkten hier junge Viehhüter zur improvisierten Musik einer Fiedel und einer Ziehharmonika Mädchen im Kreis, und wieder ging es fröhlicher zu als beim eher steifen Gartenfest.
Lächelnd bemerkte James ein Pärchen, das wohl auch nicht ganz hierher gehörte. Sein Enkel Stephen führte Jenny Greenwood vergnügt durch eine Gigue. Die kleine Charlotte versuchte Jack zu einem Tanz zu überreden, aber der suchte daraufhin schnell das Weite. Für Jack war es egal, ob Walzer oder Gigue, er fand jegliche Tanzerei albern.
Monday und ein paar weitere Hunde trennten sich von Andy und ein paar anderen, älteren Viehhütern, die rund um ein Feuer die Flasche kreisen ließen, und flitzten auf James zu. Er begrüßte die Vierbeiner und nahm dann die Flasche entgegen.
McAran wies auf den Strohballen neben ihm.
»Hier, wenn’s dein feiner Anzug verträgt – hab dich heute ja kaum wiedererkannt.«
James trug tatsächlich den ersten Abendanzug seines Lebens.
»Gwyn will es nun mal perfekt haben«, sagte er und nahm Platz.
»Dann hätte ich mich aber nach ’nem anderen Schwiegerenkel umgesehen«, feixte »Poker« Livingston, noch ein altgedienter Hirte, mit dem James eine jahrzehntelange Freundschaft verband. »Dieser Martyn sieht gut aus, zugegeben, aber ob das auf Dauer was gibt?«
James wusste, dass auch Andy skeptisch war. William hatte in den knapp sechs Wochen seiner Verlobungszeit gelegentlich auf Kiward Station ausgeholfen, wobei die Männer die Möglichkeit hatten, ihn zu beschnuppern. Den besten Eindruck hatte er dabei nicht hinterlassen, vor allem während der Schafschur, wenn wirklich jeder Mann gebraucht wurde und vollen Einsatz bringen musste. Wie sich herausstellte, hatte William Martyn noch nie ein Schaf geschoren – was normalerweise kein Problem gewesen wäre, doch umso feixender vermerkt wurde, je öfter der junge Mann mit seiner Herkunft von einer Schaffarm prahlte. Auch mit dem Treiben der Tiere und der Handhabung der Hunde erwies William sich als nicht vertraut, er schien nichts lernen zu wollen. Bei seiner Mithilfe hatte er wohl mehr an »Aufsicht« gedacht. Als sich schließlich herausstellte, dass er tatsächlich ein scharfer Beobachter war und gut mit Zahlen umgehen konnte, übergab der gutmütige Andy ihm großzügig die Kontrolle über Scherschuppen drei. Leider beließ William es aber nicht beim Zählen der Schafe pro Scherer, sondern wurde vom Ehrgeiz gepackt. Jedes Jahr wurde der beste Scherschuppen ausgezeichnet, und um zu siegen, ließ William sich die seltsamsten Ideen zur Verkürzung des Arbeitsablaufes einfallen. Aber meist waren seine Vorschläge praxisfern und vor allem ein Eingriff in die Arbeit der Schererkolonnen, die auf jede Kritik sauer reagierten, denn die Akkordscherer verstanden sich als Elite der Arbeiter Neuseelands und waren entsprechend divenhaft. Andy, James und schließlich auch Gwyneira mussten wieder mal besänftigen und schlichten – alles keine guten Vorzeichen für eine ständige Mitarbeit Williams auf dem Gut.
»Hätte schlimmer kommen können«, meinte Andy gelassen und nahm einen weiteren Schluck Whisky. »Mann, Leute, habt ihr heute Abend auch das Gefühl, als wäre die Zeit zurückgedreht? Kommt mir vor wie damals, als sie Miss Gwyn mit Mr. Lucas verheiratet haben, dieser Pfeife ...« Er gab die Flasche an Poker weiter.
»Ach, komm, der Neue ist auch nicht besser ...« Bei Poker hatte William wirklich verspielt.
James dachte nach, wobei ein weiterer Schluck Whisky hilfreich war, auch wenn er seine anschließende Rede ein wenig unsicher geraten ließ: »Wenn ... ihr mich fragt, waren ... sind das beides Pfeifen. Lucas Warden, der pfiff ganz leise, mehr wie ... wie ’ne Hundepfeife ... hat kein Mensch gehört. Aber der hier ... auch wenn Gwyn das nich’ wissen will ... der pfeift ziemlich laut und schrill. Der pfeift uns am Ende die Spatzen von den Dächern!«
2
Ruben O’Keefe hatte schlechte Laune, und Fleurette war gar nicht erst in die Stadt gekommen, sondern würde sich in den nächsten Tagen mit dringender Hausarbeit herausreden. Das hatte allerdings nichts damit zu tun, dass an diesem Tag im fernen Kiward Station die Hochzeit zwischen Kura und William Martyn gefeiert wurde. Den jungen Mann hatte Ruben längst vergessen; er war im Allgemeinen nicht nachtragend.
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