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Das Lied der Maori

Das Lied der Maori

Titel: Das Lied der Maori Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Lark
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Eigentlich kannte sein Langmut gegenüber seinen Mitmenschen nur eine Ausnahme: John Sideblossom von Lionel Station. Und ausgerechnet der trieb sich zurzeit mal wieder in Queenstown herum, begleitet von seinem Sohn. Helen hatte den beiden sogar ein Zimmer vermietet, was Ruben ihr beinahe übel nahm.
    »Nun benimm dich nicht kindisch!«, sagte seine Mutter resolut. »Natürlich ist der Kerl kein Gentleman, auch wenn er so tut als ob. Aber ich kann ihn kaum mit der Begründung ablehnen, dass er vor zwanzig Jahren um meine Schwiegertochter geworben hat ...«
    »Er hat versucht, sie zu vergewaltigen!«, begehrte Ruben auf.
    »Er ist ihr zweifellos zu nahegetreten, aber das ist lange her. Und Gerald Warden hat ihn in dem Wahn bestärkt, sie wäre die ideale Frau für ihn«, schwächte Helen ab.
    »Und James McKenzie? Willst du auch noch entschuldigen, dass er den geschnappt hat?«
    Sideblossom war damals der Anführer des Trupps gewesen, der den Viehdieb McKenzie nach Jahren vergeblicher Suche zur Strecke brachte.
    »Das kannst du ihm kaum verdenken!«, meinte Helen. »Er war nicht der Einzige, den diese Viehdiebstähle wurmten, und James hat sich damit ja auch nicht mit Ruhm überschüttet ... obwohl sie ihn jetzt so darstellen, als wäre er Robin Hood persönlich! Das Vorgehen bei der Festnahme war eine andere Sache, da hat Sideblossom sich wieder unmöglich benommen. Aber in diesem Fall war das fast ein Glück, sonst hätten sie Fleurette womöglich auch noch geschnappt, und dann gäbe es jetzt kein O’Kay Warehouse ...«
    Ruben dachte nicht gern daran, aber tatsächlich stammte das Startkapital für sein Geschäft aus McKenzies Diebestätigkeit. Fleurette war mit ihrem Vater zusammen gewesen, als Sideblossom ihn stellte, konnte im allgemeinen Wirrwarr der Festnahme jedoch fliehen.
    »Du tust ja, als müsste ich Sideblossom dankbar sein«, murmelte Ruben gallig.
    »Nur höflich«, sagte Helen lachend. »Behandle ihn einfach wie jeden anderen Kunden. In ein paar Tagen geht er wieder, dann kannst du ihn während der nächsten Monate vergessen. Außerdem verdienst du jedes Mal ganz gut an ihm, also beklag dich nicht.«
    Tatsächlich kam Sideblossom höchstens ein- bis zweimal im Jahr nach Queenstown; er machte Geschäfte mit einem Schaffarmer der Gegend. Dann nutzte er jedes Mal die Gelegenheit, das O’Kay Warehouse fast leer zu kaufen, wobei er neuerdings auch Stoffe und edle Möbel orderte, denn er war jung verheiratet – jung im wahrsten Sinne des Wortes. Seine Frau Zoé war gerade mal zwanzig, die Tochter eines Goldsuchers von der Westküste, der rasch zu Geld gekommen war, das er durch Fehlinvestitionen dann ebenso schnell wieder verloren hatte. Dem Klatsch in Queenstown zufolge war das Mädchen wunderschön, aber auch sehr verwöhnt und schwierig – wobei sie bislang allerdings kaum jemand zu Gesicht bekommen hatte. Lionel Station, die Farm der Sideblossoms, lag landschaftlich sehr schön, aber gänzlich fern aller anderen Ansiedlungen an der Westspitze des Lake Pukaki. Nach Queenstown waren es mehrere Tagesritte, und der jungen Frau schien wenig daran gelegen zu sein, ihren Gatten auf diesen strapaziösen Touren zu begleiten. Natürlich fragte sich vor allem die weibliche Bevölkerung, was ein so junges Mädchen da oben wohl ganz allein täte. Aber so wichtig, dass man sich den Strapazen unterwarf, ihr einen nachbarlichen Besuch zu machen, war den Frauen von Queenstown die Sache nun auch wieder nicht.
    »Hast du Lainie heute nicht mitgebracht?«, wechselte Helen schließlich das Thema. »Wenn Fleurette sich schon versteckt hält? Ein bisschen Hilfe könnten wir wohl beide brauchen, nicht wahr? Die Zwillinge können sich auch nicht dreiteilen ...«
    Laurie und Mary arbeiteten je nach Bedarf sowohl bei Helen als Zimmermädchen als auch als Verkäuferinnen im O’Kay Warehouse.
    Ruben lachte. »Dann wäre das Durcheinander vollkommen. Noch eine völlig identische Blonde, deren Name auf y endet, das glaubt uns keiner! Aber du hast Recht, ich könnte Elaine brauchen. Es ist nur so, dass in Fleur die Glucke erwacht, sobald dieser Sideblossom in der Stadt ist. Dann würde sie ihre Lainie am liebsten mit Tüchern verhängen oder am besten gar nicht aus dem Haus lassen. Dabei ist sie ohnehin sehr schüchtern geworden und zieht sich an wie eine graue Maus. Sideblossom würde ihr keinen zweiten Blick gönnen.«
    Helen verdrehte die Augen. »Mal ganz abgesehen davon, dass der Mann über sechzig ist. Gut erhalten zwar, aber

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