Das Lied der Maori
Beispiel Gerald Warden. Das ist diese Generation. Seehundjäger, Walfänger ... mein Gott, die haben ihre Vermögen nicht mit Samthandschuhen gemacht. Das sind Raubeine! Aber inzwischen sind sie gezähmt, und der Junge scheint mir wohlerzogen. Mitunter ziehen anscheinend gerade diese Kerle ausgesprochene Weicheier groß. Denk an Lucas Warden!«
Fleurette hatte an Lucas Warden, den sie lange für ihren Vater gehalten hatte, nur gute Erinnerungen. Schließlich hatte sie sich denn auch bereit erklärt, Thomas Sideblossom kennen zu lernen, und tatsächlich fand sie keine Einwände gegen den jungen Mann. Nur Elaines Verhalten ihm gegenüber verwunderte sie. Wenn William bei ihr war, hatte das Mädchen vor Leben geradezu gesprüht – während Thomas sie eher verstummen ließ. Dabei hatte Fleur sich schon so daran gewöhnt, ihre Tochter wieder munter plappernd und mit wehenden Röcken und Haaren durchs Haus toben zu sehen.
Schließlich bat sie Helen, ihre Enkelin zu den Sideblossoms zu begleiten, und Leonard McDunn bot sich als Fahrer an. Fleur traute beiden Begleitern ein gesundes Urteilsvermögen zu, doch ihre Meinungen schienen ein wenig geteilt, als sie zurückkehrten.
Helen war voll des Lobes über das gastliche Haus, dessen wunderschöne Lage und das gut geschulte Personal. Sie fand Zoé Sideblossom entzückend und wohlerzogen. »Eine ausgesprochene Schönheit!«, schwärmte sie. »Die arme Elaine zog sich schon wieder ganz in sich selbst zurück, als sie sich mit diesem strahlenden Geschöpf konfrontiert sah!«
»Strahlend?«, fragte McDunn. »Also, ich fand die Kleine eher kühl, obwohl sie aussieht wie ein Rauschgoldengel. Wunderte mich gar nicht, dass Lainie sich an Kura erinnert fühlte. Nur ist das Mädchen diesmal keine Konkurrenz. Sie hat nur Augen für ihren Gatten, und der junge Sideblossom schaut keine andere an als Lainie. Und das Personal ... die Leute mögen ja gut geschult sein, doch sie fürchten ihre Herrschaft. Sogar schon die kleine Zoé! Bei den Hausmädchen wird der Engel zum Feldherrn. Dazu diese Haushälterin, diese Emere ... wie ein dunkler Schatten. Ich fand die Frau richtig unheimlich.«
»Du übertreibst!«, fiel Helen ihm ins Wort. »Du hast einfach nicht genug mit Maoris zu tun ...«
»So eine ist mir jedenfalls noch nicht untergekommen! Dieses Flötenspiel ... und immer bei Nacht. Da kann man ja Angst kriegen!« McDunn schüttelte sich. Er war eigentlich kein nervöser Typ, sondern stand mit beiden Beinen auf dem Boden, und eine Abneigung gegen Maoris hatte auch noch nie jemand bei ihm bemerkt.
Helen lachte. »Ach ja, die
putorino
. Stimmt, die klingt wirklich etwas unheimlich. Hast du sie mal gehört, Fleur? Eine ganz seltsam geformte Hartholzflöte, die man praktisch zweistimmig spielen kann. Die Maoris sprechen von einer männlichen und einer weiblichen Stimme ...«
»Männlich oder weiblich?«, fragte McDunn. »Also, für mich klang das eher wie ertrinkende Katzen unter Wasser ... jedenfalls nehme ich an, dass die Viecher sich dann so anhören.«
Fleurette musste trotz aller Sorgen kichern. »Hört sich an wie die
wairua
. Die hab ich allerdings noch nicht gehört. Du, Miss Helen?«
Helen nickte. »Matahorua konnte sie erwecken. Da lief es einem wirklich eiskalt den Rücken herunter ...« Matahorua war die einstige Maori-Zauberin auf O’Keefe Station, deren Rat in »Frauenangelegenheiten« Helen und Gwyneira in jungen Jahren mitunter eingeholt hatten.
»
Wairua
ist die dritte Stimme der
putorino
«, erklärte Fleurette dem verständnislos dreinblickenden McDunn. »Die Geisterstimme. Sie ist selten zu hören. Offenbar erfordert es besonderes Geschick, sie der Flöte zu entlocken.«
»Oder eine besondere Begabung«, sagte Helen. »Jedenfalls gilt diese Emere ihrem Volk sicher als
tohunga
.«
»Und deshalb flötet sie bei Nacht, bis der letzte Nachtvogel den Schnabel einzieht?«, fragte McDunn skeptisch.
Fleurette lachte wieder. »Vielleicht trauen ihre Leute sich tagsüber nicht zu ihr«, vermutete sie. »Nach dem, was man hört, hat Sideblossom nicht das beste Verhältnis zu den Maoris. Gut möglich, dass sie ihre Zauberin nur heimlich aufsuchen.«
»Wobei sich nach wie vor die Frage stellt, was eine Maori-
tohunga
als Haushälterin bei einem derart widerwärtigen
pakeha
tut ...«, brummte McDunn.
Helen winkte ab. »Hör nicht auf ihn, Fleur. Er ist nur wütend, dass der alte Sideblossom ihm zwanzig Dollar beim Pokern abgenommen hat.«
Fleurette
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