Das Lied der Maori
verdrehte die Augen. »Da sind Sie noch gut weggekommen, Leonard«, meinte sie tröstend. »Der hat schon ganz andere ausgenommen. Oder glauben Sie, er hätte all das Geld für Lionel Station beim Walfang verdient?«
Das musste wohl jeder für unwahrscheinlich halten. Das Herrenhaus war dafür zu nobel, Einrichtung und Ausstattung der Räume zu teuer. Elaine war von all der Pracht beinahe eingeschüchtert gewesen, während Zoé so etwas wohl von ihrem Elternhaus kannte. Auf jeden Fall ging sie ganz selbstverständlich mit dem teuren Porzellan und den Kristallgläsern um, während Lainie sich konzentrieren und an längst vergangene Lektionen Helens erinnern musste, um beim Dinner mit den verschiedenen Löffeln, Messern und Gabeln zurechtzukommen.
Ihre diesbezüglichen Ängste gab sie allerdings nicht zu. Auf Fleurettes Frage erklärte sie, Lionel Station sei schön gewesen. Das Haus habe ihr gefallen, von der Farm hätte sie nicht viel gesehen, obwohl sie sich darauf eigentlich am meisten gefreut hatte. Aber das ließe sich ja nach der Hochzeit nachholen. Thomas war wunderbar gewesen, sehr zuvorkommend und höflich. Sie war nach wie vor verliebt in ihn, und überhaupt war es doch immer ihr Traum gewesen, auf einer der großen Farmen zu leben. Dabei blitzten wieder altbekannte Lichter in ihren Augen auf; schließlich hatte sie ja wirklich schon als Kind von Kiward Station geschwärmt. Irgendwelche unheimlichen Haushälterinnen oder Flötenspiel bei Nacht waren Elaine nicht aufgefallen. Sie hatte mit zu vielen anderen Eindrücken fertig werden müssen. Vielleicht, so überlegte sie, hatte ihr Zimmer auch in einem anderen Flügel des Hauses gelegen als Helens und Leonards. Und der Klang der
putorino
trug nicht so weit.
Fleurette wusste eigentlich selbst nicht, was ihr an der geplanten Hochzeit nach wie vor nicht gefiel. Vielleicht ließ sie sich ja doch durch ihre Vorurteile leiten. Insofern hielt sie sich diesmal auch mit der Äußerung ihrer vagen Gefühle zurück – beim Thema »William« hatte das schließlich auch niemanden interessiert. Umso überraschter war sie, plötzlich von jemandem angesprochen zu werden, der ihre Besorgnis teilte: Daphne O’Rourke.
Die verruchte »Hotelbesitzerin« sprach sie zwei Monate vor der Hochzeit auf der Main Street an. Fleurette registrierte, dass Daphne sich für ihre Verhältnisse unauffällig verhielt und dass sie sich betont zurückhaltend gekleidet hatte. Sie trug ein dunkelgrünes Samtkleid mit nicht mehr Volants, als schicklich war.
»Ich hoffe, ich trete Ihnen nicht zu nahe, Miss Fleur, aber ich würde gern kurz mit Ihnen reden.«
Verwundert, aber offen, wandte Fleurette sich ihr zu. »Selbstverständlich, Miss Daphne. Warum sollte ich nicht ...«
»Deshalb!« Daphne grinste und wies mit einer Handbewegung auf mindestens drei ehrbare Damen, die jetzt schon neugierig zu ihnen hinüberblickten.
Fleurette lächelte. »Wenn’s weiter nichts ist ... wir können ja auch zu mir gehen und einen Tee trinken. Falls Sie sich gestört fühlen, meine ich. Mir ist das egal.«
Daphne grinste noch breiter. »Wissen Sie was? Wir geben denen richtig was zu tratschen und gehen zu mir. Der Pub ist jetzt noch geschlossen, da können wir uns hinsetzen.« Sie wies auf den Eingang ihres »Hotels«, an dem sie soeben vorüberkamen.
Fleurette überlegte nicht lange. Sie war auch schon vorher in Daphnes Etablissement gewesen, hatte dort sogar ihre Hochzeitsnacht mit Ruben verbracht. Warum also sollte sie sich zieren? Kichernd wie Schulmädchen verzogen die beiden Frauen sich ins Innere des Pubs.
Es hatte sich ziemlich viel verändert, seit Fleurette damals nach Queenstown gekommen war. Daphne hatte den Schankraum deutlich aufwändiger gestaltet. Dennoch präsentierte er sich ziemlich genau so wie praktisch alle Kneipen im angelsächsischen Raum: Es gab Holztische und Stühle, Barhocker, Holzbohlen und eine ganze Batterie Flaschen in den Regalen über dem Ausschank. Aber die Bühne, auf der die Mädchen tanzten, war deutlich liebevoller gestaltet als das schlichte Holzpodest, das früher dort gestanden hatte. Bilder und Spiegel hingen an den Wänden. Sie waren ein bisschen frivol, doch Fleurette fand keinen Grund, rot zu werden.
»Kommen Sie, wir gehen in die Küche!«, meinte Daphne und führte Fleurette in einen Bereich hinter der Rezeption. Auch das war ungewöhnlich: In Daphne’s Hotel gab es nicht nur Whisky, sondern auch kleine Mahlzeiten.
Jetzt setzte Daphne erst einmal Tee
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