Das Lied der Maori
abreisen. Bis dahin hast du hoffentlich ihr Jawort.«
»Aber ich will ihn heiraten!« Elaine warf trotzig den Kopf zurück und hätte fast mit dem Fuß aufgestampft. Zum ersten Mal seit Monaten erkannten Fleurette und Ruben ihre lebhafte, streitbare Tochter wieder. Sie hätten sich nur einen anderen Anlass dazu gewünscht.
»Elaine, du weißt nicht, was du sagst«, meinte Ruben. Im Gegensatz zu Fleurette, die auf Elaines Ankündigung ihrer Verlobung mit Thomas Sideblossom hysterisch reagiert hatte, versuchte er, ruhig zu bleiben. »Du willst dich mit einem wildfremden Mann verloben, dessen Familiengeschichte, vorsichtig ausgedrückt, sehr fragwürdig ist ...«
»Einer meiner Großväter war ein Viehdieb, der andere ein Mörder! Das passt gar nicht so schlecht!«, warf Elaine ein.
Ruben verdrehte die Augen.
»... mit dessen Familie wir nicht die besten Erfahrungen gemacht haben«, verbesserte er sich dann. »Du willst ihn heiraten und dich auf eine Farm fern der Zivilisation begeben. Lainie, verglichen mit Lionel Station liegt Nugget Manor in der Innenstadt!«
»Na und? Ich habe ein Pferd und kann reiten. Kiward Station ist auch abgelegen, und Grandma Gwyn stört es nicht. Außerdem sind da noch Zoé, Mr. John ...«
»Ein alter Weiberheld, der sich gerade ein junges Mädchen für sein Lotterbett gekauft hat!«, schimpfte Fleur und machte Elaine damit einen Augenblick sprachlos. Solche Ausdrücke hätte sie vielleicht von Daphne erwartet, aber niemals von ihrer wohlerzogenen Mutter.
»Er hat doch Zoé nicht gekauft ...«
»Und ob er sie gekauft hat! Die halbe Westküste redet darüber.«
Fleurette hatte die letzten Wochen offenbar nicht nur mit Hausarbeit verbracht, sondern auch mit ausgiebigen Besuchen in der näheren und weiteren Nachbarschaft. Wobei jeder Klatsch ausgetauscht worden war, den die Südinsel zu bieten hatte.
»Zoé Lockwoods Vater stand vor dem totalen Ruin. Er hatte sich völlig übernommen mit seiner Farm und dem feinen Leben ... auch so ein Gernegroß, der auf den Goldfeldern zu einem Vermögen gekommen war, aber keine Ahnung hatte, wie man es behielt. Sideblossom hat seine Schulden bezahlt und ihm ein paar Zuchtschafe zur Verfügung gestellt. Dafür bekam er das Mädchen. Ich nenne das ›gekauft‹.«
Fleur funkelte ihre Tochter an.
»Aber Thomas und ich lieben uns«, behauptete Elaine.
»Ach ja?«, gab Fleurette zurück. »Das hast du von William auch behauptet!«
Das war zu viel. Elaine schwankte zwischen einem Tränenausbruch und dem Wunsch, irgendetwas nach ihrer Mutter zu werfen.
»Wenn ihr mich nicht lasst, warten wir eben, bis ich volljährig bin. Aber heiraten werde ich ihn auf jeden Fall, davon könnt ihr mich nicht abhalten!«
»Dann wartet so lange!«, rief Fleur zornig. »Vielleicht kommst du in der Zeit zur Vernunft.«
»Ich könnte auch mit ihm weglaufen!«
Ruben dachte mit Grausen an ein paar Jahre mit einer schmollenden Tochter. Er hielt Elaine nicht für flatterhaft. Außerdem hatte auch er die Veränderungen seiner Tochter bemerkt. Thomas Sideblossom schien ihr durchaus gutzutun. Wenn dieses Lionel Station nur nicht so schrecklich weit entfernt wäre ...
»Fleur, vielleicht sollten wir mal allein darüber reden«, versuchte er zu vermitteln. »Es nutzt doch nichts, sich anzuschreien. Wenn man vielleicht eine angemessen lange Verlobungszeit ausmachte ...«
»Kommt überhaupt nicht in Frage!« Fleurette konnte sich noch zu gut an die Nacht erinnern, in der John Sideblossom sie im Stall von Kiward Station bedrängt hatte. Zum Glück war ihre Mutter rechtzeitig zu Hilfe gekommen, aber dann hatte Fleur mit zerfetztem Kleid den Salon durchqueren müssen und war dabei Gerald Warden und etlichen Trinkkumpanen über den Weg gelaufen. Es war die peinlichste Szene ihres Lebens gewesen.
»Mom, du kennst ihn doch gar nicht! Du hast noch nie ein Wort mit Thomas gewechselt, aber du stellst ihn dar wie den Satan persönlich!«, argumentierte Elaine.
»Wo sie Recht hat, hat sie Recht«, meinte Ruben. »Los, Fleur, gib deinem Herzen einen Stoß. Lass uns den jungen Mann einladen und ihm auf den Zahn fühlen.«
Fleurette funkelte ihn an. »Das hat ja auch bei William schon fabelhaft funktioniert!«, bemerkte sie. »Am Ende waren alle begeistert, außer mir. Aber das ist keine Prüfung in Menschenkenntnis. Es geht um Lainies Leben ...«
»Richtig, um
meins!
Aber du willst dich immer nur einmischen ...«
Ruben seufzte. So würde das jetzt zweifellos noch ein paar
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