Das Lied der Maori
damit auch seine künftigen Besitzansprüche deutlicher anmelden würde! Aber bisher ließ sie ihn da völlig allein. Sie schien seine Beschwerden über die unbotmäßigen Viehhüter, die faulen Maoris und die widerspenstigen Vorarbeiter gar nicht zu hören. Zumindest lauschte sie ihm allenfalls mit unbeteiligter Miene und antwortete unzusammenhängend. Kura lebte nach wie vor nur für ihre Musik – und sie schien den Traum, in Europa aufzutreten, immer noch nicht aufgegeben zu haben. Wenn William von einer neuen Kränkung durch Gwyneira oder James McKenzie erzählte, tröstete Kura ihn mit Bemerkungen wie: »Aber Liebster, wir sind doch sowieso bald in England.«
Hatte er wirklich einmal geglaubt, dieses Mädchen hätte Verstand?
Missmutig lenkte er sein Pferd zwischen den ordentlich eingezäunten Weiden hindurch, auf denen sich dicke, wollige Mutterschafe unbeeindruckt vom Wetter durch Unmengen von Heu fraßen. Und das, obwohl sich in unmittelbarer Nähe der Farm reichlich Gras fand! Die Frühlingssonne schien zwar meistens noch zaghaft, aber mitunter gab es auch fast schon heiße Tage wie diesen. Und rund um den See und die Maori-Siedlung stand das Gras noch vom letzten Jahr hoch und wuchs jetzt zusehends weiter. William hatte Andy McAran deshalb den Befehl erteilt, die Mutterschafe dorthin auszutreiben. Aber der Kerl hatte seine Anweisung einfach nicht befolgt, und obendrein hatte er auch noch Gwyneira auf Williams Fährte gehetzt. Und die hatte ihn eben bei den Rinderställen gründlich abgekanzelt.
»William, solche Entscheidungen treffe
ich
, allenfalls noch James. Sie haben nichts damit zu schaffen. Die Schafe stehen vor dem Ablammen und müssen unter Aufsicht bleiben, Sie können die Tiere nicht einfach ins Freie schicken.«
»Warum nicht? Wir haben das in Irland immer so gemacht. Ein oder zwei Schäfer dabei, und ab in die Hügel. Und die Maoris wohnen da sowieso. Da können sie gleich ein Auge auf die Schafe haben«, verteidigte sich William.
»Die Maoris möchten unsere Schafe genauso wenig in ihren Gärten haben, wie wir sie in unseren fressen lassen«, erklärte Gwyneira. »Wir beweiden die Gegend um ihre Häuser nicht und auch nicht den Bereich des Sees, an dem sie wohnen, oder die Felsformation, den wir die ›Felsenkrieger‹ nennen. Die Maoris haben da Heiligtümer ...«
»Sie wollen sagen, wir verzichten auf mehrere Hektar bestes Weideland, weil die Kaffern da ein paar Steine anbeten?«, fragte William aggressiv. »Ein Mann wie Gerald Warden hat sich auf so einen Unsinn eingelassen?«
In den letzten Monaten hatte William viel von Gerald Warden gehört, und sein Respekt für den Gründer der Farm war gewachsen. Warden schien Stil gehabt zu haben, das bewies das Herrenhaus. Sicher hatte er auch die Viehzucht und seine Leute im Griff gehabt. Gwyneira ließ für Williams Verhältnisse zu viel schleifen.
Jetzt blitzten ihre Augen zornig auf, wie jedes Mal, wenn William die Eigenheiten des alten »Schafbarons« zur Sprache brachte.
»Gerald Warden wusste meist sehr genau, mit wem man sich besser nicht anlegt!«, beschied sie ihn schroff und fuhr ein wenig versöhnlicher fort: »Du meine Güte, William, denken Sie doch mal nach. Sie lesen schließlich auch die Zeitung und wissen, was in anderen Kolonien los ist. Eingeborenenaufstände, Massaker, Militärpräsenz ... da geht es mitunter zu wie im Krieg. Die Maoris dagegen saugen die Zivilisation auf wie die Schwämme! Sie lernen Englisch und hören sich an, was unsere Missionare zu sagen haben. Sie sitzen sogar im Parlament, und das seit bald zwanzig Jahren! Und diesen Frieden soll ich stören, um ein bisschen Heu zu sparen? Ganz abgesehen davon, dass die Steine auf dem grünen Gras doch sehr dekorativ aussehen ...«
Gwyneiras Gesicht nahm einen träumerischen Ausdruck an. Aber natürlich verriet sie William nicht, dass ihre Tochter Fleurette eben in diesem »Kreis der steinernen Krieger« gezeugt worden war.
William blickte sie an, als wäre sie nicht bei Trost. »Ich dachte, Kiward Station hätte bereits seine Probleme mit den Maoris«, bemerkte er dann. »Gerade Sie ...«
Die Streitereien zwischen Tonga und Gwyneira Warden waren legendär.
Gwyneira schnaubte. »Meine Meinungsverschiedenheiten mit Häuptling Tonga haben nichts mit unserer Nationalität zu tun. Die gäbe es auch, wenn er Engländer wäre ... oder Ire. Mit der Halsstarrigkeit dieser Volksgruppe mache ich ja soeben meine Erfahrungen. Engländer und Iren streiten sich ja auch
Weitere Kostenlose Bücher