Das Lied der roten Erde (German Edition)
erwarten, wenn nicht gar der Galgen.
Die Lösung, die Joseph vorgeschlagen hatte, war die einzig mögliche; sich mit dem kleinen Boot, das er in einer Bucht etliche Meilen im Norden versteckt hatte, ein ruhiges Plätzchen fernab der großen Siedlungen zu suchen und für die nächsten Jahre unterzutauchen. Joseph hatte nicht verraten, wie er an das Boot gekommen war, aber Duncan vermutete, dass er es einem Siedler gestohlen hatte.
»Ich wollte mich selbst eines Tages dort niederlassen«, hatte Joseph gestern Nacht erklärt. »In einem Seitenarm des Hawkesbury. Das Gebiet ist fruchtbar und so weitläufig, dass niemand so schnell einen flüchtigen Sträfling aufstöbert. Aber dann bin ich doch bei meinen eingeborenen Freunden geblieben.«
Gegen Mittag machten sie Rast neben einem umgestürzten Baumriesen, dessen Stamm mit Efeu und Flechten überwuchert war. Inzwischen spürte Duncan die Müdigkeit in allen Knochen – die zweite Nacht fast ohne Schlaf machte sich bemerkbar. Samuel gesellte sich zu ihm und gähnte. Auch er hatte nicht viel Schlaf bekommen, was sicher damit zusammenhing, dass der Hüne die vergangene Nacht nicht allein verbracht hatte. Wie Samuel ihm heute Morgen aufgeräumt erzählt hatte, hatte eine der Eora -Frauen Gefallen an ihm gefunden.
»Duncan, was hältst du davon, wenn wir einfach bis zu diesem Timor segeln?« Er griff nach einem Stück getrocknetem Fleisch, das sie mitgenommen hatten. »Wie diese anderen Sträflinge, von denen dein alter Herr erzählt hat.«
Joseph hatte ihnen von einer Gruppe Sträflinge berichtet, denen es vor ein paar Jahren gelungen war, mit einem gekaperten Schiff bis in die holländische Kolonie von Timor, Tausende von Seemeilen entfernt, zu segeln. Allerdings hatte man sie bald wieder eingefangen, nach England gebracht und ihnen dort den Prozess gemacht. Auch Duncan konnte sich noch daran erinnern. Vater Mahoney hatte damals eine Zeitung mit nach Hause gebracht, in der darüber berichtet wurde.
»Seid Ihr ein Seemann, Mr Fitzgerald?«, fragte Joseph, der ihm zugehört hatte.
»Nein«, gab Samuel zurück. »Aber was spricht dagegen, es zu versuchen?«
»Wir haben nur ein Paddelboot, Samuel«, sagte Duncan. »Und das wird kaum für den Ozean geeignet sein, ganz zu schweigen davon, dass wir weder Proviant noch Wasser haben. Ich werde Moira keiner unnötigen Gefahr aussetzen.«
Samuel schwieg, aber Duncan sah ihm an, dass für ihn das letzte Wort in dieser Angelegenheit noch nicht gesprochen war.
*
Der Gouverneur war mit seiner Frau ins Haus gegangen, und die meisten Soldaten zerstreuten sich bereits. Aber was tat der Major da? Alistair sah, wie Penrith mit angespannter Aufmerksamkeit den Busch, der gleich hinter dem Haus anfing, beobachtete. Sobald er sich wieder ihm, Alistair, zuwandte, würde er ihn fragen, ob auch er gehen dürfte. Bei dem Gedanken, was wohl alles in seinem Haus zerstört worden war, sank seine ohnehin schlechte Laune noch weiter. Aber vielleicht gelang es ihm, noch ein paar Dinge zu retten.
»Sehr gut.« Der Major drehte sich mit einem zufriedenen Nicken um. »Sergeant Gillet, sucht Euch vier Mann, und dann aufsitzen! Ihr auch, McIntyre!«
»Was? Aber Major, Sir – ich wollte fragen, ob ich nicht zurück nach Toongabbie …«
»Nichts da, McIntyre, darum könnt Ihr Euch später kümmern. Jetzt werden wir erst einmal Eurem Frauchen folgen«, sagte er halblaut, während ein selbstgefälliger Zug um seine Lippen spielte. »Ich habe gerade gesehen, wie diese kleine Wilde mit ihr sprach, und ich habe den starken Verdacht, dass die beiden diesen O’Sullivan aufsuchen werden. Mit etwas Glück werden wir den irischen Bastard schon bald wieder eingefangen haben. Und jetzt steht nicht herum wie eine ausgestopfte Puppe, sondern schwingt Euren Hintern auf ein Pferd!«
Die anderen Soldaten machten kaum einen Hehl aus ihrer Belustigung über Alistairs ungeschickte Versuche, auf das Pferd zu steigen, bis sich der Pferdeknecht endlich erbarmte und ihm den Steigbügel festhielt. Alistair kam unsanft im Sattel zu sitzen und unterdrückte einen Schmerzenslaut.
»Langsam«, mahnte der Major leise, sobald sie in den Busch eingetaucht waren. »Sie dürfen nicht merken, dass wir hinter ihnen sind!«
Sie konnten Moira und dem Mädchen mühelos in großem Abstand folgen. Die Hufabdrücke waren selbst für einen Laien zu erkennen, da sie sich tief in den feuchten Boden eingedrückt und rasch mit Wasser
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