Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition)
Weit auseinander standen sie in dem kantigen Gesicht mit hohen Wangenknochen, einer großen Nase, die wohl einmal gebrochen war, und einem breiten Mund.
Marcus lächelte ein wenig spöttisch. »Wissen Sie, Sie sprechen von einer zukünftigen Wachstumsindustrie, bezogen auf Medizin. Ich habe gehört, dass eine Menge unserer Kollegen stark in Altersheime und Seniorenstifte investieren.« Mit hochgezogener Augenbraue fügte er hinzu: »Ist wohl ihre Art der Altersvorsorge.«
Simon nickte. »Diesen Weg würde ich ehrlich gesagt selbst gerne einschlagen. Ich habe in Perth gerade ein entsprechendes Projekt gestartet. Und Sie haben Recht, diese ganze Geriatrieangelegenheit hat ein enormes finanzielles Potenzial.«
»Sie sind also der neue Leiter des hiesigen Krankenhauses. Ich habe schon gehört, dass jemand mit guten Verbindungen in der Medizin kommen würde. Meine Schwester und ich sind mit Oberschwester Levinski befreundet.«
Einvernehmlich gingen die beiden Männer auf das Einkaufszentrum zu, während sie sich unterhielten.
Simon nickte. »Wir sind erst seit einer Woche hier, und ich kenne mich noch nicht sehr gut aus.«
Marcus verkniff sich den Kommentar, dass es auf Norfolk nicht viel gab, womit man sich auskennen musste. Stattdessen fragte er: »Sind Sie mit Ihrer Familie hier?«
»Mit meiner Frau, einer Rechtsanwältin.« Simon hielt inne, bevor er hinzufügte: »Jessica ging es in letzter Zeit nicht sehr gut. Ich hoffe, dass ihr die Abwechslung guttut und dass sie wieder anfängt zu malen. Man hat mir erzählt, dass die Landschaft hier wunderschön sein soll.«
Marcus lachte leise. »Damit kann sie sich sicher die Langeweile vertreiben. Wenn man kein Tourist ist und nichts mit dem Tourismus zu tun hat, ist es hier ziemlich ruhig.«
»Das ist genau, was sie jetzt braucht.«
Als Marcus' Blick auf den Getränkeladen fiel, hatte er eine Idee. »Am Samstagabend haben wir eine kleine Weihnachtsfeier bei meiner Schwester. Nan hat ein Keramikatelier. Sie beliefert ein paar Händler mit ihren Arbeiten«, erklärte er. »Es ist nur ein kleines Treffen, Insulaner, Einheimische. Wenn Sie und Ihre Frau Zeit hätten …?«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen, wir kommen gerne.«
Marcus schrieb die Adresse auf ein Stück Papier, das er in seiner Hosentasche fand. Dann wedelte er mit Nans Liste. »Der Einkauf wartet.«
Noch einmal schüttelten sie sich die Hände, und Marcus sah dem Arzt nach. Er neigte den Kopf schief, während er nachgrübelte. Warum sollte sich ein Arzt mit seiner Reputation und seinem Können an einem so rückständigen Ort wie Norfolk vergraben? Ein derartiger Rückschritt in seiner Karriere schien seltsam und passte nicht zu seinem Ruf.
Am Samstagabend war es brütend heiß, ohne dass ein leichter Wind nach dem langen Tag mit hoher Luftfeuchtigkeit ihnen etwas Abkühlung brachte. Eine solche Hitze hätte Jessica auf einer Pazifikinsel nicht erwartet. Sie hatte gedacht, dass sanfter Wind vom Meer die Temperaturen erträglich machen würde, besonders im Sommer. Unwohl rutschte sie auf dem Sitz der kleinen Limousine hin und her, als Simon sie zu Nan Duncan fuhr. Der Sitz klebte an ihrer Haut, ebenso wie das leichte Trägerkleid, für das sie sich nach langem Überlegen entschieden hatte.
»Du bist doch nicht nervös, weil wir diese Leute treffen, oder?«, erkundigte sich Simon mit einem Seitenblick.
»Nein«, behauptete sie, obwohl es so war. Seit mehreren Monaten, sowohl in dem Sanatorium in Perth als auch danach, hatte sie praktisch isoliert gelebt. Im Sanatorium hatte sie nur wenig Leute gesehen, und danach hatte Simon versucht, sie zu beschützen, indem er sie auf diese Insel brach te, weit weg von der Rechtsanwaltspraxis, ihrer Familie und den Freunden, die sie seit Jahren kannte. Sie musste zugeben, dass sie eigentlich ganz gerne allein war. Sie mochte allerdings auch den Umgang mit Menschen aus vielen sozialen Schichten – nur dass sie jetzt ein wenig aus der Übung war.
»Mein Gott, das musst du nicht. Marcus ist ein sehr umgänglicher Mensch, und seine Schwester zweifellos genauso. Und später kommt noch Sue dazu, dann lernst du sie auch kennen.«
Erstaunt hob Jessica eine Augenbraue. Die unermüdliche Sue Levinski. Seit Simon seine Stelle an der Klinik angetreten hatte, hatte er von ihren Fähigkeiten geschwärmt. Eine medizinische Superfrau, ober-effizient, sorgfältig, die geborene Organisatorin … Die Liste ihrer Tugenden war endlos und hatte ihr das Bild eines
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