Das Lied der roten Steine: Australien-Saga (German Edition)
sie hören konnten, zu: » Danke! «
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arcus Hunter lief die Hauptstraße von Burnt Pine entlang, sich einen Weg durch die Touristen bahnend. Man erkannte sie an der Art, wie sie sich kleideten, und an der unvermeidlichen Kamera oder dem Camcorder über der Schulter, noch bevor ihre unterschiedlichen Akzente sie als Ausländer verrieten. Nan mochte Touristen nicht sonderlich, obwohl sie mit ihrem Besuch in Norfolk, um Ferien zu machen oder zollfrei einzukaufen, dafür sorgten, dass sie mit ihren Keramikerzeugnissen ein halbwegs vernünftiges Einkommen hatte. Sie war der Meinung, dass sie überall herumliefen, dafür sorgten, dass ein paar Händler gierig wurden und die Privatsphäre der Einheimischen störten. Womit sie Recht hatte, musste er zugeben, während er zum Einkaufszentrum mit dem größten Supermarkt der Stadt ging, doch die Unannehmlichkeiten waren der Preis, den die Inselbewohner für ihren Wohlstand zahlen mussten.
Auf dem Weg in ihr Atelier hatte ihm Nan eine Einkaufsliste gegeben und gesagt, wenn er etwas Anständiges essen wollte, sollte er lieber einkaufen gehen. Da sie acht Jahre älter war als er, kommandierte sie ihn immer noch herum, wie als Kind. Meistens ließ er es sich gefallen, weil es ihm egal war. Aber gelegentlich rebellierte er und sagte ihr, wohin sie gehen konnte, nur um den schockierten Ausdruck auf ihrem von der Zeit zerfurchten Gesicht zu sehen.
Etwa sieben Meter entfernt kam ein Mann auf ihn zu, ein blonder Mann in Khakihosen, einem blauen Hemd und Krawatte. Er sah nicht aus wie ein Tourist und lief auch nicht so. Wahrscheinlich ein neu zugezogener Bürger, vielleicht ein Geschäftsmann. Marcus zuckte mit den Schultern. Vielleicht. In seinem Gehirn tauchte eine Erinnerung auf, als er den Mann betrachtete. Das gutaussehende Gesicht kam ihm irgendwie bekannt vor, als ob er ihn schon einmal irgendwo getroffen hätte.
Marcus war stolz auf sein Gedächtnis, es half ihm, ein guter Historiker zu sein, da er sich mühelos an Menschen, Namen und Daten erinnern konnte.
O ja, gelegentlich vergaß er einen Namen, aber niemals ein Gesicht, wenn er die Person einmal getroffen hatte. Daher nahm er an, dass er den Mann mit der Khakihose kennen musste. Aber woher? Universität? Gesellschaftlich? Die Tatsache, dass er die Erinnerung nicht greifen konnte, ärgerte ihn. Als sie auf gleicher Höhe waren, verlangsamte er seinen Schritt. Der Mann sah ihn fragend an und runzelte angesichts von Marcus' offensichtlichem Interesse die Stirn. Eine Sekunde lang zögerte er, dann jedoch ging er weiter.
Marcus blieb stehen. Als er sich umwandte, tat der andere Mann das Gleiche. Er machte den ersten Schritt. Lächelnd ging er auf den Fremden zu. »Ich kenne Sie, aber ich kann mich nicht daran erinnern, wo wir uns getroffen haben.«
Simon Pearce grinste ebenfalls. »Geht mir ebenso. So etwas ist ärgerlich, nicht wahr?«
Marcus' Gesichtsausdruck wurde ernst, als er versuchte, sich zu erinnern. »War das vielleicht an der Auckland University?«
Simon schüttelte den Kopf. »Das glaube ich nicht. Vielleicht eine Konferenz. Ich habe an einigen teilgenommen. Ich bin Arzt, ich habe gerade hier am Krankenhaus angefangen.«
Marcus schnippte mit den Fingern. »Das ist es! Sydney 1997, das Kongresszentrum von Darling Harbour. Sie haben einen Vortrag über die geriatrische Entwicklung im neuen Jahrtausend gehalten. Auch wenn ich nicht mehr praktiziere, nehme ich gelegentlich noch an Konferenzen teil, um auf dem Laufenden zu bleiben, sozusagen.«
»Dr. Simon Pearce.« Simon streckte die Hand aus. »Sie sind auch Arzt …?«
Marcus ergriff die angebotene Hand. »Psychologe. Ich habe einige Jahre in Christchurch praktiziert, bin dann aber an die Universität zurückgegangen. Mein Gebiet an der Universität von Auckland ist die Geschichte der südpazifischen Randgebiete. Es macht mir mehr Spaß als Psychologie. Marcus Hunter«, stellte er sich vor.
»Es wundert mich, dass Sie sich noch an diese Geriatriesache erinnern können. Das war ein ziemlich trockenes Thema«, meinte Simon und betrachtete den Mann genauer. Er war nicht ganz so groß wie er selbst, aber gebaut wie ein Footballspieler. Sein grünes T-Shirt spannte sich über die breiten Schultern, und unter den abgeschnittenen Jeans sahen muskulöse Beine hervor. Das dunkelbraune, lockige Haar war für Simons Geschmack etwas zu lang, aber Marcus stand es. Das hervorstechendste Merkmal waren die braunen Augen, in denen Humor und Intelligenz glitzerten.
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