Das Lied der schwarzen Berge
zogen singend in Foca ein; Räummaschinen, Planierraupen, Betonmischer, Betongießer, fahrbare Sägen, riesige Eisenträger rollten ratternd durch den stillen Ort und bildeten außerhalb der Häuser ein riesiges Heerlager. Einhundert italienische Arbeiter aus Triest fuhren in der Nacht ins Lager ein, mit ihnen kam Musik in den Lindwurm der Technik, Mandolinenklang und Gesang.
An der Spitze seiner Köche marschierte Pietro Bonelli ins Lager. Bonelli, der Kantinenwirt, der in Zabari für das Wohl der siebenhundert Menschen sorgen sollte.
Ralf Meerholdt arbeitete Tag und Nacht. In seiner ›Befehlsbaracke‹, wie man sie schnell bei den Arbeitern nannte, brannte in diesen Nächten das Licht bis zum Morgen. Elena arbeitete an seiner Seite, still, unermüdlich. Sie war blasser geworden, etwas dünner im Gesicht. Um die Augen lagen die Schatten der Schlaflosigkeit. Aber sie sagte kein Wert der Beschwerde, sie stand an seiner Seite, sie schrieb die langen Listen der Materialien und Geräte, der Personalien und Berichte, und sie kochte starken Kaffee, wenn es gegen den Morgen ging und die Müdigkeit sie übermannte.
»Noch drei Tage«, sagte Ralf, »dann bist du erlöst.« Er trank hastig den starken, würzigen Kaffee und aß eine Schnitte Weißbrot mit dicker Butter und Schinken. Aber noch während des Kauens diktierte er weiter, meldete ein Ferngespräch nach Zagreb zu Direktor Osik an und bestellte die einzelnen Schacht- und Straßenmeister für sieben Uhr morgens zur Besprechung in den Saal der Kantinenbaracke.
An einem Dienstag setzte sich die Armee der Bauarbeiter mit den Maschinen, Wagen und Kettenfahrzeugen in Bewegung.
Nach einem genauen Plan, wie der Aufmarsch eines Heeres, vollzog sich jede Bewegung der nun fast 1.000 Männer.
Den Vortrupp bildeten drei Raupenschlepper und Planierraupen mit sechs Lastwagen, die den Weg über die schwarzen Berge sichern und festigen sollten, ehe die langen Reihen der Wagen mit den Baracken und Materialien folgten. Zuletzt kamen die Arbeiter auf großen Mannschaftswagen, die von der jugoslawischen Armee geliehen worden waren.
Meerholdt hatte es bei Direktor Osik durchgesetzt, daß Elena in Foca blieb und die ›Verbindungsstelle‹ zwischen Zabari und Zagreb darstellte. So sehr sie bettelte und sogar nach Zagreb zu ihrem Vater fuhr, so sehr sie Ralf umschmeichelte und in der elterlichen Villa die Vasen an die Wand warf und einen kleinen Schreikrampf inszenierte, den Direktor Osik mit einem Eimer kalten Wassers schnell heilte … sie blieb in Foca zurück und winkte weinend vor Enttäuschung und Zorn dem letzten Wagen nach, der aus dem Tor des Barackenlagers fuhr – der kleine Wagen Meerholdts, beladen mit einem Zelt und einigen Koffern voll Kleidung und Wäsche.
Dann war sie allein in dem großen Lager. Die Baracken starrten sie mit ihren leeren Fenstern an, der Platz, über den sonst das laute Leben der Arbeit flutete, war übersät mit Papier, das der Wind vor sich hertrieb. Ein Hund, den jemand vergessen hatte mitzunehmen, trottete durch die Lagergassen und schnüffelte an den Ecken. Nur aus der ›Befehlsbaracke‹ tönte dünn das Klappern einer Schreibmaschine durch die plötzliche Stille. Zwei Stenotypistinnen hatte Meerholdt zur Unterstützung Elenas noch eingestellt, ehe er wegfuhr.
Wütend ging Elena durch die Lagergassen. Eine ausgestorbene Stadt, ein schreckliches Gefängnis, eine Verbannung, dachte sie. Sie blieb vor dem ehemaligen Materiallager stehen, das noch halb gefüllt war. Der Rest sollte in etwa zwei Monaten nachgeholt werden, wenn in Zabari das neue Barackenlager aufgebaut war und die wertvollen Ersatzteile ein sicheres Dach bekamen.
In zwei Monaten, dachte Elena. In zwei Monaten werde ich mit diesem Material nach Zabari fahren. Und wenn ich mich in eine Kiste legte oder unter Drahtrollen verstecke. Ich komme mit! Ich will Ralf und Vater zeigen, daß ich keine Modepuppe bin, der man nicht zutraut, in einer Wildnis zu leben, wenn man einen Mann liebt! Ich werde es ihnen beweisen! In zwei Monaten.
Zufrieden ging sie zurück zur ›Befehlsbaracke‹ und setzte sich an das Telefon. Sie rief Zagreb an und nickte, als sich Stanis Osik meldete.
»Meerholdt ist vor einer Stunde mit den Kolonnen abgerückt«, sagte sie. »Wir rechnen damit, daß die provisorische Telefonleitung von Zabari bis Foca in drei Tagen fertig ist. Du kannst dann gleich mit Meerholdt sprechen.«
»Sehr schön, mein Püppchen«, sagte Osik zufrieden.
»Nenn mich nicht immer
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