Das Lied der schwarzen Berge
Koller?«
»Nein! Sie wollen Fackeln gesehen haben!«
»Fackeln?« Meerholdt schüttelte erstaunt den Kopf. »Wie sollen Fackeln in die Berge kommen? Hat eine andere Kolonne in der Nacht vielleicht etwas gesucht?«
»Eben nicht! Darum sagen sie, es sei unheimlich.«
»Haben die Bauern etwas gesucht? Ein entlaufenes Schaf oder eine Kuh?«
»Ich habe den Ältesten schon gefragt. Er sagt nein! Ich wollte es Ihnen erst nicht sagen, Herr Ingenieur, weil es mir selbst zu dumm ist … aber gestern war wieder Fackelschein in den Felsen … zum viertenmal schon!« Drago schluckte. »Ich habe es selbst gesehen … und ich habe keinen Koller!«
Meerholdt stellte das Kochgeschirr vor sich in den Schmutz und blickte hinüber zu dem ansteigenden Wald und dem senkrechten Felsen. ›Der Steinwurf‹, durchfuhr es ihn. Am Rande dieses Waldes wollte mich ein Unbekannter töten. Er kam aus den Felsen heraus und flüchtete in ihre Unwegsamkeit zurück. Hundert Soldaten haben die ganze Umgebung von Zabari abgesucht … sie haben nichts gefunden als einsame, karge Schafwiesen und einige Schäfer mit den Herden.
»Dort oben habt ihr die Fackeln gesehen?« Er zeigte zu dem Wald hinauf. Drago nickte eifrig.
»Ja. Gleich neben dem Felsen. Sie bewegten sich am Waldrand entlang und verschwanden dann in dem Geröll.«
»Und wieviel waren es?«
»Immer verschieden. Gestern nacht waren es drei Fackeln. Ich habe es deutlich erkennen können. Sie waren nahe beieinander, so, als gingen die Träger eng zusammen – oder ein einzelner Mann trage die drei Fackeln auf einmal.«
Meerholdt schwieg. Ein einzelner Mann! Der Unbekannte mit dem Stein. Warum geisterte er mit Fackeln des Nachts durch die Felsen? Wollte er die Arbeiter erschrecken? Sollten sie durch einen Schrecken davongejagt werden? Gerade unter den serbischen Arbeitern gab es viele Abergläubische, die noch an die Wirksamkeit von Geistern glaubten und in ihren Dörfern Strohpuppen in den Ecken stehen hatten zur Austreibung böser Hausdämonen.
»Ich danke Ihnen, Drago«, sagte er. »Ich werde mich einmal um die merkwürdigen Fackeln kümmern.« Er sah, daß der Vorarbeiter seinen Teller Suppe schon leergelöffelt hatte und schüttete ihm den Inhalt seines Kochgeschirrs in die Blechschüssel. Dann erhob er sich und ging zum Lager zurück, während Drago Sopje mit schmatzenden Lippen den zweiten Teller Suppe schnell leer aß.
Meerholdt betrat seine Baracke gerade in dem Augenblick, in dem Elena in seinem Wohnzimmer durch zwei der Lagerschreiner eine Wand ausmessen ließ. Zwei Mädchen waren dabei, die Schränke umzustellen, während Rosa im Schlafzimmer auf den Knien lag und den Boden wischte.
»Was ist denn hier los?« sagte er. Es sollte laut klingen, aber es klang grob. Elena fuhr herum und lächelte charmant.
»Ich mache deine Behausung ein wenig schöner, mein Liebling!« sagte sie. »Die Schreiner werden so schnell wie möglich schöne Regale zimmern, die wir hier an die Wand stellen. Eine Bücherwand, mein Schatz. Ich werde mir aus Zagreb alle meine Bücher kommen lassen. Und eine richtige Couch mit drei Sesseln. Und einen Rauchtisch. Und eine Hausbar.«
»Hör auf! Hör bitte auf!« Meerholdt hob die Hand und sah die Schreiner an, die mit dem Messen aufgehört hatten. »Und ihr da – raus! Auch die Mädchen! Halt – Rosa nicht. Du bleibst.« Er winkte und sah Rosa an, die zögernd, vom Putzen ein wenig erhitzt, näher kam. Ihre langen Haare hingen ihr über das gerötete Gesicht. »Aus dem Regal wird nichts, macht weiter Tische für die Baracken!« rief er den Schreinern nach.
Elena verzog den Mund. »Ich wollte dir eine Freude machen!«
»Indem du die Leute von den dringenden Arbeiten abhältst?«
»Dein Zimmer ist zu kahl, zu unfreundlich! Ich will etwas Leben in diese Räume bringen.«
»Ich habe mich bisher hier wohl gefühlt«, sagte er steif.
»Bisher – aber nun bin ich hier! Ich möchte es wohnlicher haben!«
»Aber nicht auf Kosten des Werkes! Erst kommen die Arbeiten für den Bau, dann für die Baracken, dann für die Ersatzteile … und dann kommen wir immer noch nicht! Wir kommen zuletzt, das mußt du dir merken!«
Elena war rot geworden. Sie schäumte vor Wut, aber sie verbiß sich alle Bemerkungen. Mit einem Seitenblick streifte sie Rosa, die abseits stand.
»Du hast recht«, sagte sie mühsam beherrscht. »Aber ich möchte dich bitten, das nicht alles vor diesem Trampel da zu besprechen.«
Meerholdt fühlte, wie es in seiner Schläfe zu klopfen
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