Das Lied der schwarzen Berge
diesen hindurch bis zu dem Berg, der über Zabari stand. Während des Aufstiegs sprachen sie nichts … Jossip ging voran … Rosa folgte ihm. Im Wald ließ Jossip sie vorgehen … Während sie sich zwischen den Stämmen und Büschen hindurchwand, beobachtete er ihren Körper, ihre flinken Beine, die Schultern, den Hals und den Kopf mit den langen, schwarzen Haaren. Ein heißes Rieseln durchströmte seinen Körper … er atmete schwer und spürte, wie sein Kopf brannte und das Blut in seinen Schläfen klopfte.
In einer Lichtung hielt Jossip Rosa am Arm fest. Seine Augen brannten vor Leidenschaft.
»Ruh dich ein wenig aus«, sagte er heiser. »Du bist müde von dem schnellen Laufen.«
Sie schüttelte den Kopf. »Aber nein, Jossip!« Sie lachte leise. »Wie oft bin ich durch den Wald gelaufen.«
Er setzte sich auf den Boden und breitete seinen Mantel neben sich aus. »Komm – der Gang durch die große Höhle ist schwer. Ruhe dich aus …«
Gehorsam setzte sie sich an seine Seite und schlang die Arme um die angezogenen Knie. Sie schaute empor … durch die Wipfel der Bäume leuchteten die Sterne, der Mond stand am Rande des Felsens und beschien die Lichtung. Er machte Jossips Gesicht bleich und das Gras silbern.
»Wie ruhig es ist«, sagte sie.
»Sie arbeiten heute nicht im Tal.« Seine Stimme wurde dunkler. »Die Fremden werden uns alles nehmen … sogar die Stille!«
»Aber sie geben uns Reichtum –«
»Und nehmen uns das Glück!«
Jossip betrachtete Rosa von der Seite. Ihre Lippen waren ein wenig geöffnet, das schmale Gesicht war gerötet. Wie ein Schleier umgab ihr langes Haar ihre Schultern und die vollen Brüste. Ihre Hüften waren schmal, und die Beine, die unter dem Kleid hervorsahen, waren braun und glänzten im Mondschein.
Eine Königin, dachte Jossip. Meine Königin … Nur mein, mein … mein.
Er spreizte die Finger und drückte sie an seine Seite. Dann schnellte er plötzlich vor, warf sich auf Rosa, schleuderte sie nach hinten auf den Boden und lag auf ihr, ein wildes, keuchendes Tier. Ihr Schrei gellte durch die Stille des Waldes … da preßte er seine Lippen auf ihren offenen Mund, spürte, daß sie ihn biß und daß sein Blut über seinen Hals lief. Das machte ihn irrsinnig, blind und taub … er drückte den sich aufbäumenden Körper wieder auf den Boden und preßte sie mit seinem Gewicht in das Gras …
Ralf Meerholdt hatte einen kleinen Umweg gemacht, als er als letzter die Bohrstelle am Felsen verließ. Die Arbeiter standen schon bei Bonellis Kantine an und holten sich ihr Abendessen, die Geologen und Techniker saßen in der großen ›Chefbaracke‹, nur die Soldaten unter Führung eines Unteroffiziers waren zur Wache aufgezogen und pendelten an dem Felsen hin und her.
Den Umweg hatte Meerholdt nur aus einer Laune heraus gemacht. Er wollte den großen Komplex des Baues noch einmal von oben ansehen, vom Hang des Berges aus. Ein gewisser Stolz trieb ihn dazu, ab und zu allein auf einer Höhe zu stehen und sein Werk zu überblicken, die wachsende Staumauer, die Brücken, das Turbinenhaus, die neue Straße nach Zabari, diese ganze Umwandlung eines Landstrichs nach seinen Plänen und seinem Willen.
Er war oberhalb der Schneise in den Wald gestiegen und war dabei, nach dem abgeholzten Hang hinabzugehen, als er zwei Menschen durch den Wald den Berg hinaufsteigen sah. Sie umgingen seitlich die Wachen Hauptmann Vranas und kletterten den Hang in einem Bogen hinan. Es waren ein Mann und eine Frau. Meerholdt blieb stehen und stellte sich hinter einen Baum. Um diese Stunde durfte sich niemand in den Wald wagen. In ganz Zabari wußte man, daß die Wachen sofort schossen, wenn sie eine Bewegung in der Nähe des Felsens sahen. Um so unverständlicher war der Aufstieg der beiden Personen. Waren es Fremde, die nichts von den Ereignissen wußten? Fremde in Zabari? Das gab es nicht – hier wurde jeder gesehen, der über die Straße in das Dorf kam.
Meerholdt drückte sich an den Stamm und sah den beiden entgegen. Das Mondlicht brach jetzt durch den Wald, es versilberte das Gras und tauchte die beiden Gestalten in eine fahle Helle.
Lange Haare … das war das erste, was Meerholdt sah. Er wischte sich über die Augen, als könne es eine Vision sein, eine überhitzte Phantasie. Aber das Bild blieb: Rosa stieg in der Nacht den Bergwald hinauf, an der Seite eines Mannes!
Das Herz Meerholdts schlug wild. Er spürte plötzlich eine Übelkeit und ein Würgen im Hals. Dann sah er den Mann – sein
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