Das Lied der schwarzen Berge
Kompromisse. So, wie Völker und Weltanschauungen aufeinanderprallten, wie Religionen sich über Jahrhunderte bekriegten, wie Kontinente sich aufrieben und die Götter der Technik sich gegenseitig vernichteten, wie Atome im All Welten schufen und in den Retorten gezüchtet wurden, Welten zu zerstören, der ewige Kampf der Natur um Dasein und Fortbestehen war in diesem Augenblick – auf kleinstem Raum zusammengeballt – das Gegensätzliche zwischen Meerholdt und Jossip.
Es gab nur einen Überlebenden – sie wußten es! Und sie sahen sich an, mit starren, verschleierten Augen und sammelten die Kraft zum letzten Aufeinanderprall.
»Was hast du mit Elena gemacht?« keuchte Meerholdt.
Über Jossips Gesicht zog ein Grinsen. »Ich habe sie getötet. Langsam, ganz langsam getötet. Aber vorher habe ich sie gehabt wie ein Bär die Bärin … zweimal – dreimal – eine ganze Nacht … und sie hat geschrien und um Gnade gefleht, und ich habe sie gequält und nach dem letztenmal getötet. Ganz langsam … mit dem Messer … Ich hätte sie zerschneiden können … das schöne, weiße Fleisch.«
»Du Bestie!« Vor Meerholdts Augen flimmerte es, das Entsetzen vor diesem Menschen nahm ihm fast den Atem. »Du Saustück!«
Er sprach deutsch, und Jossip verstand ihn nicht und grinste. Mit diesem Grinsen schnellte er vor und sprang Meerholdt wie ein Panther an. Sein ganzer Körper flog durch die Luft und krachte gegen den Deutschen.
Aber wo er hingriff, war die Faust Meerholdts. Sie hatten sich umklammert und rangen mit keuchenden Lungen. Sie rollten über den Boden den abschüssigen Hang hinab bis vor ein kleines Plateau, hinter dem der Wald zum Felsen hin steil abfiel und in einer kleinen Senke endete.
Jossip war stark, stärker als Meerholdt. Die Kraft der Natur war in ihm, die unverbrauchte Gewalt eines Menschen, der Jahr um Jahr gegen Schnee und Sonne kämpfte und nicht unterlegen war. Der die Berge besiegte und die Schluchten, den Hunger und den Durst. Ein Mann, der einen Stier an den Hörnern zu Boden riß und mit einem Hammerschlag ein Rind tötete.
Aber er war unbeweglicher, steifer, erdschwerer als Meerholdt. Er konnte den Judogriffen nicht ausweichen … er lief in sie hinein und stöhnte und schrie vor Wut, wenn er wie ein Ball durch die Luft flog und auf den Boden krachte. Doch immer wieder stürmte er heran, den Kopf gesenkt wie ein angreifender Stier, und jeder Schlag, der Meerholdt traf, jede Umklammerung nahm dem Deutschen die Luft und machte ihn unterlegen.
Am Rande des steil abfallenden Hanges standen sie sich wieder gegenüber. Sie blickten in die Tiefe, und jeder wußte, was der andere dachte. Sie sprachen kein Wort mehr … ihre schweißüberströmten Körper in den zerrissenen Kleidern bebten vor Anstrengung. Noch einmal stürzten sie aufeinander … Jossips Hände griffen in die Luft, Meerholdt hatte ihn unterlaufen und schleuderte ihn jetzt mit letzter Kraft zur Seite über den Rand des Hanges hinaus.
Dann war Leere um Jossip … er fiel, er spürte einen Aufprall, seine Hände krallten sich in den Boden, aber sein schwerer Körper rollte und wirbelte den steilen Hang hinab, eine Lawine von Steinen und Kies hinter sich herziehend. Staub nahm ihm den Atem und erstickte ihn fast … immer und immer wieder griffen seine blutigen Hände um sich, krallten sich fest und wurden wieder losgerissen von dem eigenen Gewicht. Sein Körper wurde aufgeschlagen … die Schulter klaffte auf … die Beine brannten … da fanden seine Hände Halt an einem Busch, der auf dem Steilhang wuchs und seinen Sturz aufhielt. Er klammerte sich an den Zweigen fest, warf sich in das Gestrüpp und schloß die Augen.
So lag er, ein zerschellter Körper, die ganze Nacht hindurch und weinte vor Zorn …
Meerholdt hatte den Körper Jossips fallen sehen … er hörte, wie er hinabrollte, wie Steine und Sand ihm folgten und die Lawine sich entfernte. Es schauderte ihn, hinabzublicken und seinen Sieg zu betrachten. Schwankend ging er ein paar Schritte auf Rosa zu, die noch immer auf der Erde lag und sich die Seite hielt. Aber er erreichte sie nicht mehr … er sah erstaunt, wie seine Knie einknickten, wie die Beine einfach versagten und seinem Willen nicht mehr gehorchten. Mit einem Ächzen fiel er ins Gras und sah noch, wie eine Wolke sich über den Mond schob. Mit dieser Wolke verließen ihn die Sinne. Er lag im Gras wie ein Toter …
In der gleichen Nacht noch wurde Jossip gesucht. Hauptmann Vrana selbst leitete die Streifen …
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