Das Lied der schwarzen Berge
zur Bewachung des Felsens und der dusseligen Quelle postiert haben, ziehen Sie zurück! Überhaupt das Bächlein … Meerholdt, ich hätte nicht solch einen Wind darum gemacht! Die Bohrungen haben ergeben, daß sich unmöglich ein eingeschlossener See im Felsen befinden kann. Unmöglich! Überall nur Stein! Wer weiß, wo das Wässerlein herkommt … ich ziehe auch die Bohrkolonnen heute noch zurück! Sie kosten nur ein Schweinegeld und nützen doch nichts! Ich kann sie für einen Tunnelbau bei Sjenica besser gebrauchen!«
»Wie Sie wollen, Herr Osik.« Ralf Meerholdt zuckte mit den Schultern. »Ich könnte immer noch schwören, daß dieses Wasser nur ein Abfluß eines großen Sees ist! Trotz der mißlungenen Bohrungen!«
»Schwören Sie nicht! Das klingt so bestimmt … und dabei haben Sie nur eine Vermutung, die sich auf keinerlei Tatsachen stützt als auf ein dummes Gefühl! Wenn ich nach meinem Gefühl gegangen wäre, würde ich heute Besitzer eines Harems von 4.000 Frauen sein, aber nicht einer Baufirma! Gefühle, die Geld kosten, sind Luxus!«
Ralf Meerholdt schwieg. Was sollte er auch dagegen sagen? Osik zu überzeugen von einer Sache, von der er von Beginn an nicht überzeugt war, schien aussichtslos. Er hatte das schon einmal erlebt, damals, in Zagreb, als er bei dem Bau einer Brücke behauptete, der Unterboden des einen Pfeilers sei Fließsand und würde in ein paar Jahren abrutschen und die Brücke auseinanderreißen. Osik hatte gelacht und sich an die Stirn getippt! »Der Boden ist Fels, Meerholdt!« Die Brücke wurde gebaut … und schon nach sechs Monaten rutschte der Pfeiler um zehn Zentimeter nach unten und die Brücke stand schräg. Osik schrie damals und ließ sich dazu hinreißen, den Statiker, der die Berechnungen gemacht hatte, in den Hintern zu treten. Diese Art von Gefühlsausbruch ist in slawischen Ländern weit verbreitet, und man mißt ihr nicht die hochbeleidigende Wirkung bei wie in unseren Gegenden. Er ist mehr der Ausdruck eines kräftigen Mißfallens und eines Tadels, für den es noch keine Wortbezeichnung gibt als eben die Demonstrierung des Tritts. Damals hatte Meerholdt jedenfalls recht behalten und stieg sehr im Ansehen Osiks.
War es heute anders? Osik verneinte den See … Meerholdt spürte seine Anwesenheit fast körperlich. Aber er schwieg … man soll nie zuviel sagen, auch, wenn es wahr ist, dachte er. Es gab ein chinesisches Sprichwort, das er nie vergessen hatte: Ein Esel schreit, ein Kamel brüllt … aber der Tiger ist lautlos, wenn er seine Beute sieht …
Stanis Osik stand noch immer am Fenster und schaute hinauf in den Bergwald und auf den großen Felsen. Seitdem es für ihn gewiß war, daß Elena noch lebte, hatte sich seine Lethargie in eine Betriebsamkeit verwandelt, die der Arzt verbrecherisch gegenüber dem kranken Herzen nannte. Es gab auf einmal nichts mehr, was Osik nicht in die Hand nahm … die Befreiung Elenas war nur eines der Dinge, um die er sich kümmerte. Er war auf den Bauten, er inspizierte die Lager, er kontrollierte die Materialnachschübe, er verglich die Arbeitsblätter der Kolonnen mit der Abrechnung, er sah sogar in Bonellis Kantine und Küche hinein und erlebte hier einen kleinen Schock.
Bonelli, kein Angestellter Osiks, sondern ein Kantinenpächter auf eigene Rechnung, betrachtete den schnüffelnden Osik mit schiefem Kopf. Er wurde unruhig, als Osik eine Flasche Slibowitz aus der Kühltheke nahm und sich ein großes Glas einschüttete.
Osik trank es in einem Zug leer, stutzte, nahm die Flasche wieder aus dem Kühlloch der Theke, las die Aufschrift, schüttelte den Kopf, goß sich noch ein Glas ein und trank es. Dann stellte er die Flasche mit einem Krach auf den Tisch.
»Was ist das!« fragte er laut.
Bonelli schwitzte und kam langsam näher.
»Slibowitz.«
»Das hier?« Osik zeigte auf die Flasche.
»Ja. Es steht ja drauf!«
»Was drauf steht, braucht noch lange nicht das zu sein, was drin ist!« Osik schnaufte wieder. »Und Slibowitz ist nicht drin!«
»Sie müssen's ja wissen.« Bonelli grinste frech. »Ich habe es als Slibowitz in Sarajewo selbst eingekauft.«
»Wo?« wollte Osik wissen. Bonelli zuckte mit Armen, Schultern und Beinen.
»Den Laden kenne ich nicht mehr! Ich bin ja fremd in Sarajewo. Es war ein kleiner Laden …«
»Dann fahren wir zusammen nach Sarajewo, und du zeigst mir den Verbrecher! Das ist Wasser mit Alkoholgeschmack …« Osik goß sich noch einmal ein Glas voll und kippte es hinunter. Er schüttelte
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