Das Lied der Sirenen
Gerichtsgebäude hinaufging, den Mantelkragen gegen den Ostwind, der noch vor dem Abend Schneeregen verhieß, hochgeschlagen. Sie würde noch eine Menge zu lernen haben, wenn sie jemanden dazu bringen wollte, sie ernsthaft für die Einsatzgruppe ins Auge zu fassen, soviel war sicher.
Alle Gedanken an die Einsatzgruppe verflogen sofort, als sie nach der Sicherheitsüberprüfung am Eingang in den langen Korridor einbog, in dem sechs der zwölf Haftrichter-Büros lagen. Statt der üblichen Gruppen mißmutig oder trotzig-herausfordernd blickender Gesetzesbrecher und ihrer bedrückten Familienangehörigen sah sie sich einer aufgeregten Meute von Journalisten gegenüber. Sie hatte noch nie eine solche Konzentration von Medienvertretern an einem Samstagmorgen, normalerweise die ruhigsten Stunden der Wochen, bei Gericht gesehen. Umdrängt von der Menge, an die Tür des Gerichtssaals gelehnt, stand der gestreßte Don Merrick.
Carol machte auf dem Absatz kehrt, aber es war zu spät. Einige der Journalisten, die von den landesweit operierenden Medienzentralen hierhergeschickt worden waren, weil man sich eine reißerische Story versprach, hatten sie nicht nur gesehen, sondern auch erkannt. Als sie um die Ecke bog, stürzten sie auf sie zu. Alle anderen schlossen sich an – bis auf Penny Burgess, die an der Wand stand und Don Merrick müde anlächelte.
»Sie waren offensichtlich nicht die einzige, die schon am frühen Morgen von ihren Gewährsmännern informiert wurde«, sagte Merrick zynisch.
»Leider nicht, Sergeant. Die Jungs scheinen aber an Ihrer Chefin mehr interessiert zu sein als an Ihnen.«
»Sie sieht besser aus als ich«, entgegnete Merrick.
»Oh, das würde ich nicht sagen.«
»Ich hab’s jedenfalls so gehört«, meinte Merrick trocken.
Penny hob die Augenbrauen. »Ich möchte Sie irgendwann mal zu ’nem Drink einladen, Don. Dann können Sie selbst rausfinden, ob an dem Geschwätz, das Sie da gehört haben, was dran ist oder nicht.«
Merrick schüttelte den Kopf. »Ich glaube nicht, daß daraus was wird, Schätzchen. Meine Frau hätte bestimmt was dagegen.«
Penny grinste. »Und Mrs.Vorgesetzte sicher auch. Nun ja, Don, nachdem nun die Meute schreiend hinter Inspector Jordan hergerannt ist, würden Sie mich nunmehr meine demokratischen Rechte ausüben und über die Entscheidung des Haftrichters berichten lassen?«
Don Merrick gab die Tür frei und winkte sie in den Gerichtssaal.
»Seien Sie mein Gast«, sagte er. »Aber denken Sie daran, Mrs.Burgess, nur die Fakten und nichts als die Fakten. Wir wollen doch keinesfalls unschuldige Menschen einer Gefahr aussetzen, nicht wahr?«
»Sie meinen, wie das der Schwulenkiller getan hat?« fragte Penny mit süßlichem Lächeln und schlüpfte an ihm vorbei in den Gerichtssaal.
Brandon starrte Tom Cross ungläubig an. Sein Gesicht zeigte den Ausdruck tiefster blasierter Selbstgefälligkeit, die nur durch das bunte Veilchenauge getrübt wurde. »Ganz unter uns, John«, sagte Cross, »Sie müssen doch zugeben, daß ich mit McConnell absolut richtiglag. Der Tote letzte Nacht – das war nicht der Schwulenkiller, nicht wahr? Nun, er kann es ja auch nicht gewesen sein, weil Sie das von mir verdächtigte Kerlchen aus dem Verkehr gezogen haben.« Er kümmerte sich nicht darum, daß kein Aschenbecher da war, steckte sich eine Zigarette an und stieß eine dicke Rauchwolke in die Luft.
Brandon kämpfte mit sich, aber er fand keine Worte. Ausnahmsweise einmal war er sprachlos.
Cross schaute sich flüchtig um, wo er die Zigarettenasche loswerden konnte, entschied sich dann für den Boden und rieb die Asche mit der Fußspitze in den Teppich. »Wann soll ich denn nun meinen Job wiederaufnehmen?« fragte er.
Brandon lehnte sich zurück und blickte zur Decke. »Wenn es nach mir ginge, würden Sie nie mehr bei der Polizei dieser Stadt arbeiten«, antwortete er in freundlichem Ton.
Cross verschluckte sich fast am Rauch seiner Zigarette. Brandon sah ihn an, diesen Augenblick genießend. »Zum Teufel, John, Sie … Sie machen wohl Witze«, stotterte Cross.
»Es ist mir nie in meinem Leben mit etwas ernster gewesen«, sagte Brandon kalt. »Ich habe Sie heute hergebeten, weil ich Sie warnen wollte. Was Sie gestern mit Steven McConnell angestellt haben, war ganz eindeutig versuchte Körperverletzung. Eine Strafverfolgung behalten wir uns vor, Superintendent. Wenn Sie es wagen sollten, noch einmal in unsere Ermittlungen einzugreifen, werde ich nicht zögern, Sie vor Gericht
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