Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Lied der Sirenen

Das Lied der Sirenen

Titel: Das Lied der Sirenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Val McDermid
Vom Netzwerk:
gelegentlich benutzt
pour discourager les autres.
Sie scheint im allgemeinen nur in Fällen von Hochverrat angewandt worden zu sein, gegen Männer, die ein Komplott zur Ermordung des Königs geschmiedet hatten. Angemessen, dachte ich. Denn Damien war nun einmal ein integraler Bestandteil der Gruppe, die mich ausschalten wollte.
    Der erste Bericht über die Anwendung dieser Behandlung in England stammt aus dem Jahre 1238 , als ein Mann aus dem niederen Adel in die königliche Jagdhütte in Woodstock eindrang, um Heinrich III . zu ermorden, der sich dort auf einem Jagdausflug befand. Um möglichen anderen Hochverrätern zu demonstrieren, daß der König Mordversuche gegen sich sehr ernst nahm, wurde der Mann dazu verurteilt, von Pferden gevierteilt und dann enthauptet zu werden.
    Einem weiteren Möchtegern-Mörder war Mitte des 18 . Jahrhunderts dasselbe Schicksal beschieden. Sein Name war, unter meinen Aspekten gesehen, ein Omen. François Damiens versuchte König Ludwig XV . in Versailles zu erdolchen. Der Urteilsspruch lautete: »Brust, Arme, Schenkel und Schädel sind mit glühenden Zangen zu verbrennen; seine rechte Hand, in der er den Dolch bei dem Angriff hielt, ist in Schwefel zu verbrennen; brennendes Öl, geschmolzenes Blei und ein Gemisch aus Harz, Wachs und Schwefel sind in seine Wunden zu gießen; danach soll sein Körper von vier Pferden auseinandergerissen werden.«
    Wenn man dem Bericht über die Exekution Glauben schenken darf, wurde Damiens’ dunkelbraunes Haar während der Tortur grau. Casanova, dieser große Liebhaber, berichtet in seinen
Memoiren:
»Ich beobachtete diese schreckliche Szene vier Stunden lang, war aber mehrere Male gezwungen, mein Gesicht abzuwenden sowie meine Ohren vor den durchdringenden Schreien zu verschließen, als große Stücke aus seinem Körper herausgerissen wurden.«
    Es war klar, daß ich kein Pferdegespann in meinem Keller einsetzen konnte, also mußte ich mir ein eigenes Arrangement ausdenken. Ich konstruierte ein System aus vier Seilen und Flaschenzügen, die an den Wänden und der Decke verankert und mit einer dieser leistungsstarken Winden verbunden waren, wie man sie auf Segeljachten einsetzt. Jedes Seil endete in einer Stahlfessel, die ich um Damiens Hand- und Fußgelenke legte. Durch genaues Austarieren der Länge und Spannung der Seile gelang es mir, Damien senkrecht in der Luft in der Schwebe zu halten, wobei seine ausgestreckten Gliedmaßen ein großes menschliches X bildeten. Seine recht kümmerlichen Genitalien hingen in der Mitte herunter wie ein dünner Fleischlappen in einem Metzgerladen.
    Das Chloroform hatte bei ihm eine schlimmere Auswirkung als bei den anderen. Als er wieder zu sich kam, mußte er sich heftig übergeben, was nicht einfach ist, wenn man senkrecht ausgespannt einen Meter über dem Boden hängt. Ich entfernte schleunigst das Klebeband vor seinem Mund, sonst wäre er an seinem eigenen Mageninhalt erstickt und hätte mich damit um den Genuß an seiner Bestrafung gebracht.
    Er war total verwirrt, hatte keinerlei Ahnung, warum er sich in dieser Lage befand. »Weil ich dich auserwählt habe«, erklärte ich ihm. »Du hast Pech gehabt, daß du dir den falschen Beruf ausgesucht hast. Jetzt werde ich dich auf eine ähnliche Art verhören, wie ihr bei der Polizei eure Verdächtigen verhört.«
    Als ich Tante Doris’ Küche auf der Suche nach irgendwelchen Dingen, die für mein Vorhaben eventuell nützlich sein könnten, durchstöbert hatte, war ich auf ihren Gerätesatz zur Verzierung von Torten und Kuchen gestoßen. Ich erinnerte mich gut daran. Tante Doris’ Weihnachtskuchen waren jedes Jahr aufs neue ein Wunder an kunstvoller Verzierung gewesen, die von den Bäckern in Bradfield kaum übertroffen werden konnte. Als sie eines vorweihnachtlichen Tages wieder einmal damit beschäftigt war, ihren besten Kuchen zu verzieren, wurde sie von Onkel Harry weggerufen, und ich griff im Bestreben, ihr zu helfen, zu dem mit Zuckerguß gefüllten Spritzbeutel mit Metalltülle und machte mich an die Arbeit.
    Als sie zurückkam, von welcher scheußlichen bäuerlichen Tätigkeit auch immer, bei der man sie gebraucht hatte, und das Ergebnis meiner Bemühungen sah, drehte sie durch. Sie nahm den schweren Streichriemen, den Onkel Harry zum Schärfen seines Rasiermessers benutzte, und drosch damit so heftig auf mich ein, daß mein Hemd zerriß. Dann schloß sie mich fast vierundzwanzig Stunden lang in mein Zimmer ein, gab mir nichts zu essen und schob nur einen

Weitere Kostenlose Bücher