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Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition)

Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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tanzen begann, und als wir hinterher wieder in braven Reihen nach draußen trabten, wimmelte es dort von Vopos, wir kamen uns vor wie Schwerverbrecher.
    Melancholie – das war, was in der Musik Omegas mitschwang. Etwas Schwermütiges, Dunkles. die Melancholie des Ostens, wie bei Tschaikowsky, Mussorgsky, Prokofjew, Bartók. Woran lag das? Nicht nur an der Politik, zumal in Ungarn in Ostblockzeiten seit den Sechzigerjahren vieles ein wenig liberaler gehandhabt wurde als in den sozialistischen Bruderstaaten. In Ungarn gab es sogar LPs von West-Bands zu kaufen, ost- und westdeutsche Touristen begegneten sich am Balaton und in Budapest, wenn man auch für die DDR-Touristen eher die Holzklasse vorsah, und später bedeutete die Öffnung eines Schlagbaums zwischen Österreich und Ungarn den Auftakt zum Fall des Eisernen Vorhangs. Und doch war die Melancholie selbst in der Musik einer Kultband wie Omega fühlbar, einer Band, deren Musiker mit den Scorpions bekannt waren, in London auftreten durften und dort sogar Alben einspielten. Als ich noch mit der Hurtigruten-Linie nach Nordnorwegen tourte, war ich einmal mit den Touristen zur Exkursion auf die Kolahalbinsel gefahren. Es war nicht sehr aufregend dort, aber ich weiß noch, dass die Birken wehmütig wirkten, sobald wir uns auf russischem Boden befanden. Doch vielleicht hatte ich mir das damals auch nur eingebildet, und das war nur eine weitere Projektion, wie all meine Theorien über meine Familie. Vielleicht gab es sowieso keine Wahrheit, sondern nur das, was man dafür hält und sich zurechtbiegt, eine ganz persönliche Wirklichkeit, ein Lebenskonstrukt, um nicht den Verstand zu verlieren.
    »Woran denkst du?«
    »An traurige Birken und längst vergangene Sommer.«
    Eike nickte, als wäre das eine vollkommen aufschlussreiche Antwort. Auf meinem Berliner Küchensofa wirkte er ein wenig wie eine der todesmutigen Krähen, die am Morgen in Boltenhagen die Möwen gejagt hatten. Ich drehte Omega lauter, holte mehr Wein aus der Küche, setzte mich wieder neben ihn.
    »Kiss-Stadion, habt ihr da mal gespielt?«
    »Das wär’s gewesen! Aber so berühmt waren wir denn doch nicht. Und Erich und die Seinen hätten es uns wohl auch verboten.« Er trank einen Schluck Wein, streckte die Beine aus. »Und jetzt, schöne Klavierspielerin?«
    »Wir könnten miteinander ins Bett gehen.«
    »Du könntest mir auch erzählen, warum du so traurig bist.«
    »Wir könnten beides tun.«
    Lorenz fiel mir plötzlich ein, und dass er versprochen hatte, nach Sellin zu kommen, sobald er eine längere Tourpause machte. Wir hatten nie darüber gesprochen, ob wir eigentlich ein Paar waren, wir hatten auch nicht wirklich darüber gesprochen, dass es mit den Nächten, die wir ein Jahr lang geteilt hatten, nun vorbei war. Keine Versprechungen. Keine Verbindlichkeiten. Mein Schweigen hielt uns auf Distanz, und Lorenz ließ es geschehen.
    »Mein Bruder ist tot. Und meine Mutter. Und meine Tante, die vielleicht meine Großmutter war.« Ich begann zu erzählen. Ich redete lange. Irgendwann gingen wir rüber in mein Schlafzimmer. Irgendwann waren wir nackt, und Eikes Hände auf meiner Haut fühlten sich genau so an, wie ich mir das vorgestellt hatte. Irgendwann klammerten wir uns aneinander wie zwei Ertrinkende und lachten. Irgendwann war er in mir und ich auf ihm, und meine Brüste ruhten in seinen Händen, und mein Haar war ein Vorhang. Und dann weinte ich wieder. Und dann erzählte ich ihm auch noch von der Marina und von Lorenz, und dass ich ihm nicht einmal sagen könnte, ob das mit Lorenz und mir wirklich vorbei wäre, und in jedem Fall würde Lorenz irgendwann in diesem Sommer nach Sellin kommen, um mit seinem Saxofon in der Kirche zu improvisieren. Und dann redeten wir über WEGA und Susanne und die neuen Songs, an denen Eike arbeitete, und über die Stille, und ob es wohl sein könnte, dass das, was ich manchmal zu hören glaubte, wenn ich allein war, tatsächlich der Klang war, der sich in den Mauern und Gewölben dieses Pfarrhauses und der Kirche verbarg.
    »Hast du schon einmal zugehört, was dir die Sakristei erzählt?«, fragte Eike. »Die ist angeblich so gebaut, dass das Gewölbe selbst geflüsterte Worte von einer Nische in die andere überträgt, unhörbar für alle, die nicht in einer der Nischen stehen.«
    Ich schüttelte den Kopf. Ich wusste von diesem Phänomen, es war auf dem Handzettel, der im Eingangsbereich der Kirche auslag, beschrieben. Ich besaß auch den Schlüssel zu ihr, hatte

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