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Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition)

Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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öffnen, um das zu registrieren. Die wenigen Gäste am Tresen hörten mir zu. Die beiden Barkeeper auch. Eine gute Aufmerksamkeit war das, kein Gaffen. Ich spielte weiter. Für sie, für uns alle. Ich improvisierte die Übergänge, begann mit den Themen zu spielen, so wie manchmal nachts, wenn ich allein war, oder mit Lorenz. Ab und an hielt ich einen Akkord etwas länger, griff mit der freien Hand nach meiner Flasche und trank mein Bier aus. Nach einer Weile brachte mir die Kollegin des Barkeepers ein neues. Ich nickte ihr zu und spielte Lizz Wright,
Salt
, für sie, weil die herbe Dramatik zu ihren schwarz geschminkten Augen passte.
    Salt,
Salz. Wieder das Meer, die Wellen. Ein paar Mal hatte ich gesehen, wie das Meer nachts zu leuchten begann.
Biolumineszenz
, hörte ich Alex erklären.
Das Meer selbst leuchtet natürlich nicht. Mikroorganismen sind für dieses Lichtphänomen verantwortlich, Einzeller, die zu den Algen gehören.
    Zwei neue Gäste polterten die Treppe hinunter und blieben unschlüssig stehen. Ein Paar, das Stress miteinander hatte. Ich fühlte, wie der Mann mich taxierte, fühlte, wie seine Freundin sich sofort noch mehr versteifte. Eifersucht. Ich probierte es mit einem Bossa nova, ganz weich und zurückgenommen, Musik, die mich verschwinden ließ, meistens beruhigte das die erhitzten Gemüter. Doch diesmal nicht, sie zischten sich an, dann stürmte der Mann die Treppe hinauf, und seine Freundin stakste zur Theke und orderte einen Cocktail.
    Melody Gardot,
Your Heart is as Black as the Night
. Wenn wir schon ins Tal der Tränen hinab mussten, dann richtig. In der Nacht, als Lorenz und ich zum ersten Mal miteinander geschlafen hatten, hatte das Meer auch geleuchtet. Bläuliche Lichtblitze auf den Kämmen der Wellen, züngelnd, mäandernd.
    Eine Strandparty im Oktober – das Get-Together für die neue Crew, bevor die Hauptsaison losging. Freie Getränke und Vollmond. Drumbeats aus den Boxen der Strandbar. Fast alle tanzten, barfuß im Sand, warfen sich ins Meer, wenn es ihnen zu heiß wurde. Hast du Lust, ein Stück zu laufen?, fragte Lorenz. Der neue Solist. Es gab kaum ein weibliches Crewmitglied, das ihn nicht cool fand. Er hatte so was Verlorenes an sich und Muskeln an den richtigen Stellen, und seine grünen Augen und die schwarzen Locken, die an den Schläfen schon grau wurden, machten ihn auch nicht gerade unattraktiv. Aber mich interessierte sein Körper nicht, jedenfalls nicht bis zu diesem Abend. Ich wollte keinen Freund, kein Gefühlswirrwarr, und ich brauchte auch keinen Liebhaber, denn ich hatte schon ein ziemlich gut funktionierendes Arrangement mit Marc. Doch ich hatte Lorenz am Vormittag proben gehört, und da war etwas in seiner Musik, das mich anrührte. Er hatte so eine Art, manche Töne nur anzuspielen und andere dafür umso länger schweben zu lassen. Er spielte nur Saxofon, ganz allein auf der Bühne. Und trotzdem schien es noch eine zweite, verborgene Melodie zu geben. Eine Melodie hinter der Melodie, die wahrscheinlich überhaupt nur in den Köpfen der Zuhörer entstand. Ich wollte unbedingt wissen, wie er das machte.
    Wir liefen ziemlich weit am Strand entlang an diesem Abend, so lange, bis wir die Musik der Party nicht mehr hörten. Die meisten Frauen würden während so eines Spaziergangs die ganze Zeit reden, sagte er irgendwann. Aber ich wollte nicht reden, ich wollte die Brandung hören, und ich mochte Lorenz dafür, dass er das Schweigen aushielt und nicht mit seinen Erfolgen prahlte oder mich bedrängte. Und dann hatte das Meeresleuchten begonnen und wir setzten uns nebeneinander in den Sand und tranken Wein aus der Flasche, die er mitgenommen hatte. Er rauchte auch, Tabak, und auch das mochte ich, und wir fingen an, uns über Musik zu unterhalten: Was uns gefiel und was nicht, woher wir kamen und wie wir auf die Marina geraten waren. Und obwohl das ziemlich abgedreht war, dachte ich nach einer Weile, dass das Meeresleuchten vielleicht auch eine Form von Musik war – lichtgewordener Klang, der Gesang der Meere, und ich wusste, wie sehr Ivo diese Idee gefallen hätte.
    Ich hörte Schritte hinter mir und öffnete die Augen. Die frisch Verlassene kam zu mir herüber. Sie hatte geweint, sah ich jetzt aus der Nähe, und die Art, wie sie sehr sorgfältig einen Fuß vor den anderen setzte, verriet, dass sie alles andere als nüchtern war. Sie blieb stehen, als sie neben mir angekommen war, leicht schwankend auf ihren High Heels, und sog einen langen Schluck ihres Cocktails

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