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Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition)

Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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aus dem Strohhalm.
    »Kennst du Chaka Khan,
Ain’t Nobody
?«, fragte sie. »Kannst du das für mich spielen?«
    »Klar.«
    Sie schenkte mir ein schiefes Lächeln. Orderte noch einen Drink, sah mich wieder an.
    »Für dich auch, Klavierspielerin?«
    »Ich bleib bei meinem Bier.« Ich begann wieder zu spielen, tastete mich mit ein paar Tonfolgen und Modulationen an den neuen Rhythmus heran.
Ain’t Nobody
. Ein Liebeslied, tanzbar, das unendlich traurig klang, gerade hier in dieser Kellerbar, in der sich nun, da es auf den Morgen zuging, nur noch die versammelt hatten, die es bei sich zu Hause nicht aushielten.
    Du musst den Raum, in dem du bist, in deine Musik mit einbeziehen, nicht nur das Publikum, hatte Lorenz an jenem Abend am Meer gesagt und mir von dem Jazzflötisten Paul Horn erzählt. Stundenlang habe der in der Mausoleumsgruft des Taj Mahal gesessen und der Stille dort gelauscht, bevor er sich sicher gewesen sei, dass die Musik, die er komponierte, dieses Gebäude tatsächlich erfasse. Du musst den Raum hören und ihn dann spielen.
    »Singst du nicht?«, rief die Verlassene hinter mir und begann zu tanzen.
    Ich schüttelte den Kopf, spielte lauter, hörte Chaka Khans Stimme trotzdem.
Ain’t Nobody
. Niemand ist so wie du. Die Verlassene tanzte sich ein, summte den Refrain mit. Ein Barhocker kratzte über den Steinboden. Ich hörte Schritte, dann einen zweiten Körper, der sich in Chakas Rhythmus bewegte. Ich überlegte, was sich als nächster Song eignete. Etwas von Adele vielleicht, oder von Madonna. Ich dachte an Paul Horn, wie er im Taj Mahal saß und den Wänden zuhörte. Ich überlegte, wie die Selliner Kirche wohl für ihn klingen würde, und stellte mir meinen Großvater dort vor, vor dem Altar, die Arme gen Himmel erhoben und hoffend, dass über ihm Gottes Stimme erklinge.
    Irgendwann in jener Nacht mit dem Meeresleuchten hatten Lorenz und ich dann doch noch miteinander geschlafen, beiläufig beinahe, unaufgeregt, als wäre das die einzig richtige Konsequenz dieses Abends und unserer Gespräche, und ich hatte gedacht, dass es eigentlich keine Worte gibt, um Sex angemessen zu beschreiben, aber möglicherweise eine Melodie, und dass die in etwa so klingen müsste wie die Wellen auf dem Sand, was natürlich hoffnungslos kitschig war.
    Du kannst mehr als nur Barmusik, hatte Lorenz gesagt, als wir ein paar Tage später zum ersten Mal zusammen jammten. Doch für die anderen Solisten, die wie er als Top-Acts auf die Marina eingeflogen wurden, und für die Mitglieder seiner Band blieb ich trotzdem die C-Klasse-Pianistin, mit der Lorenz in die Koje hüpfte, wann immer er auf der Marina gastierte. Gib nichts auf die, sagte er. Wir spielen doch gut zusammen, du wirst immer besser, und ich kenne den Manager, der für die nächste Saison verantwortlich ist, und den musikalischen Leiter. Die werden schon auf mich hören, wenn ich dich empfehle.
    Es klang so leicht, Lorenz klang so sicher. Und ich hatte ihm geglaubt, nein, vertraut, erkannte ich nun.
Barpianistin, was für ein Jammer.
Ich fühlte die Hitze der Tanzenden hinter mir, hörte die Worte meiner Mutter wie aus weiter Ferne. Pink,
Just like a Pill
. Ich spielte gegen meine Erinnerung an, meine falschen Träume, Lorenz.
You’re just like a Pill. Instead of making me better, you’re making me ill.
Ich spielte lauter, härter und merkte, dass nicht mehr viel fehlte, bis ich gegen mein Barpianistinnen-Selbstverständnis verstoßen und tatsächlich zu singen beginnen würde.
    Es war alles kaputt, und ich hatte keine Idee, wie es für mich weitergehen würde, doch solange ich in dieser Bar am Klavier saß, tat das nicht mehr so weh, das war immerhin etwas.

Theodor, 1931
    Sie hören das Automobil schon von Weitem, ein mechanisches Sirren, das sich dem Dorf nähert.
    »Wer mag das wohl sein, so früh am Morgen?« Elise wedelt mit ihrer Serviette, um Fliegen aus dem Brotkorb zu scheuchen.
    »Ich erwarte niemanden.« Theodor greift nach seiner Teetasse. »Du etwa, Hermann?«
    »Nein, gewiss nicht.« Sein Studienfreund streckt die Beine aus. »Ich laufe nachher zu Fuß zum Bahnhof in Goldberg. So ein herrlicher Tag ist das. Ich wünschte nur, ich könnte noch länger bei euch bleiben.«
    Herrlich, ja, ein Frühsommertag, Rosenduft weht auf die Veranda und der See ist so makellos blau wie der Himmel. Doch das Gebrumm auf der Landstraße wird lauter und nun stürmen auch schon die Kinder herbei, die sie fortgeschickt hatten, um in Ruhe zu plaudern.
    »Ein Auto,

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