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Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition)

Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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er auf diese Weise auch meiner Mutter Gesellschaft geleistet.
    Ich stand auf und spülte meinen Teller ab. Die Augen des Katers in meinem Rücken. Fing es so an, dieser schleichende Weg vom Alleinleben zur Einsamkeit und schließlich zum Verrücktwerden? Man redete mit Katzen? Ich wollte nicht darüber nachdenken, nicht jetzt. Ich wollte raus hier, einfach raus. Wenigstens für ein paar Stunden.
    22 Uhr. Eiskrusten auf den Straßen. Nur wenige Passanten, die meisten mit Hund und Mütze und hochgeschlagenen Kragen. Ich nahm die U-Bahn nach Prenzlauer Berg, lief dort eine Weile mehr oder weniger ziellos umher. An meiner Wohnung vorbei, am Atelier, das hell erleuchtet war. Irgendwann fror ich so sehr, dass ich dem Hinweisschild zu einer Bar folgte. Grablichter wiesen mir den Weg eine Treppe hinab in einen Keller, es roch muffig nach Alkohol und feuchtem Mörtel. Ich kaufte mir ein Bier an der Theke und ließ mich auf eins der Sperrmüllsofas fallen. Es war ziemlich leer. Vielleicht war es noch zu früh fürs Berliner Nachtleben, vielleicht war diese Bar auch nicht angesagt. Ich trank mein Bier und sah mich um. Die Bar war ein Schlauch, der Thekenbereich in einem synthetischen Violett beleuchtet, es sah ein bisschen so aus, als ob er schwebe. Die Wand dahinter bestand aus rohem Backstein mit Putzresten, die andere zierte eine Tapete mit einem Muster, das vermutlich unter erheblichem LSD-Einfluss entworfen worden war, rostige Eisenträger dienten als Kerzenhalter. Aus den Boxen wummerte House, und als ich mir das nächste Bier holte, wechselte die Musik unvermittelt zu Florence & the Machine.
Seven Devils
, schon eher mein Geschmack. Ganz am Ende der Bar entdeckte ich ein Klavier. Ich schlenderte dorthin und klappte den Deckel hoch, schlug ein paar Tasten an. Der Klang war in Ordnung, das Klavier sogar gestimmt. Ein Schimmel der unteren Preisklasse, für diesen Raum völlig ausreichend. Es gab hier also wohl Konzerte und jemanden, der sich ums Equipment kümmerte. Ich stellte mein Bier ab, spielte ein paar Takte der Melodie mit.
    »Ich kann das ausmachen, wenn du magst«, rief der Barkeeper, als Florence’ sieben Teufel am Ende waren. »Ist sowieso nix los heute. Scheißkälte.«
    Ich nickte ihm zu, streifte meine Jacke ab und schob mir den Hocker zurecht. Ich dachte an Alex, wie er früher gewesen war, an die Wundergeschichten, die er Ivo und mir manchmal vor dem Einschlafen erzählt hatte. Es kamen nie Menschen darin vor, immer nur Tiere. Einsiedlerkrebse, die ihre Gehäuse tauschen, sobald sie aus ihnen herauswachsen. Hermaphroditische Fische, die ihr Geschlecht wechseln, von Männchen in Weibchen oder umgekehrt.
    Die drei Geschwister und das Meer. Die drei Geschwister im Wasser. Keane kamen mir in den Sinn, neben Florence eine weitere musikalische Neuentdeckung von mir, Keane hatten dem Meer gleich ein ganzes Album gewidmet. Ich entschied mich für ihr
Sea Fog
als Starter, weil dessen Melancholie perfekt in diese Bar passte, spannte den Bogen dann noch weiter ins Düstere zu Laura Veirs’
Wrecking.
Ich schloss die Augen, sah Alex’ und Ivos Kindergesichter vor mir, grünstichig, diffus, wie damals im See. Irgendwann hatten wir uns zu erwachsen für unser Tauchspiel gefühlt und uns auch nicht mehr an den Händen gehalten. Vielleicht war das unser Fehler gewesen, dieser Übermut. In Kauf zu nehmen, dass wir auseinanderdrifteten, das normal zu finden, ja wünschenswert, uns in fremden Welten zu verlieren.
    Ocean
von Lou Reed, ich hatte mich jetzt warmgespielt, meine Finger fanden den Weg wie von alleine.
Ocean.
Ozean. Ich fragte mich zum wohl tausendsten Mal, wie das alles zusammenhing: ich rastlos auf den Weltmeeren unterwegs, mein älterer Bruder noch immer tauchend, aber allein, in einem anderen Ozean, und Ivo, der Jüngste, tot und begraben, gestorben auf dem Weg zur Ostsee.
    Ich muss dieses Licht sehen, Rixa, draußen, am Horizont. Dieses Licht, wenn es noch nicht richtig dunkel, aber auch nicht mehr hell ist. Sieht man den Übergang zwischen Wasser und Himmel als Linie oder verschwimmt der? Und was ist dann heller, genau im letzten Moment, in dem man noch etwas erkennen kann? Die Luft oder das Meer, was glaubst du?
    Ich spielte weiter, ließ mich von meiner Intuition leiten. Claude Debussy,
The Snow is Dancing,
für den Barkeeper. Manfred Mann’s Earth Band,
Circles
, für mich, weil meine Gedanken im Kreis rotierten. Die Atmosphäre in der Bar war jetzt verändert, konzentriert, ich musste die Augen nicht

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