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Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition)

Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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Riesenprojekt, das er da gerade stemmen muss, deshalb hat er mich gebeten, dich zu informieren.«
    »Ja, schon gut.« Ich schob den Topf wieder auf das Kochfeld und drehte die Hitze herunter. Ich fragte mich flüchtig, wie lange die Nudeln kochen mussten, was vollkommen schwachsinnig war, denn ich hatte nicht auf die Uhr gesehen, als ich sie ins Wasser gab.
    Ich setzte mich wieder hin, versuchte den harten Klumpen in meiner Kehle zu ignorieren und beim Thema zu bleiben. In drei Tagen war die Beerdigung, in Köln. Die Retzlaff-Geschwister waren informiert. Theodor junior würde die Trauerpredigt halten. Mein Vater hatte beim Friedhof alles veranlasst, genau wie Alex prophezeit hatte. Er hatte auch ein Restaurant für das anschließende Beisammensein reserviert und in einem nahe gelegenen Hotel Zimmer gebucht.
    »Alex und du, ihr übernachtet dann natürlich bei uns«, sagte er jetzt, als hätte ich diese Überlegung laut ausgesprochen.
    »Ein Testament«, sagte ich. »Mama hat also ein Testament gemacht.«
    »Ja.«
    »Wann? Hat dieser Anwalt dir das gesagt?«
    »Das habe ich nicht gefragt.«
    »Und was hat sie zu vererben?«
    »Ich weiß es nicht, Rixa. Ich wollte Dr. Gruber ja auch nicht bedrängen. Das geht mich ja alles genau genommen auch gar nichts mehr an. Ich versuche doch nur, euch Kindern zu helfen.«
    »Sie hat vor zwei Jahren ein Haus gekauft«, sagte ich. »Ein altes Pfarrhaus in Mecklenburg. In Sellin, um präzise zu sein.«
    »Sellin?«
    »Sellin.«
    »Was weißt du darüber?«
    »Was ich darüber weiß? Was soll ich denn wissen?«
    »Die Retzlaffs haben da gelebt. Von 1942 bis 1950.«
    »Aber da waren sie doch schon wieder in Poserin.«
    »Nein, waren sie nicht. Das haben alle nur immer behauptet.«
    Stille am anderen Ende der Leitung.
    »Mama hat das Haus von einer Amerikanerin gekauft.«
    »Das klingt überhaupt nicht nach Dorothea.«
    Ich lachte auf. »Da hast du wohl recht. Und weißt du, was ich mich die ganze Zeit frage?«
    »Nein.«
    »Ich frage mich, wie sie das Haus bezahlt hat. Von welchem Geld.«
    »Das kann ich dir nicht sagen. Wir hatten doch keinen Kontakt mehr.«
    »Aber du hast ihr Geld überwiesen.«
    »Ihren Unterhalt meinst du? Ja, natürlich.«
    »1400 Euro im Monat. Das ist nicht gerade üppig. Davon kann man nicht viel sparen.«
    »Ich hätte ihr mehr gezahlt, aber sie wollte das nicht. Wir hatten damals deshalb sogar gestritten.«
    »Wie schön für dich, dass sie sich durchgesetzt hat. Sehr praktisch für dein neues Leben.«
    »Lass Konny da raus, sie hat nichts damit zu tun.«
    »Ah ja?«
    »Es war Dorotheas Entscheidung zu gehen, Rixa, nicht meine.«
    »Sie war doch noch nicht ganz zur Tür raus, da gab es schon deine Kornelia.«
    »Pass auf, was du sagst!«
    »Das tue ich, ja. Und ich hab keine Lust mehr, noch länger zu lügen.«
    »Du bist kindisch, Rixa. Anmaßend. Du sprichst von Dingen, die du nicht verstehst.«
    »Weil ich die Wahrheit sage, bin ich kindisch?«
    »Die Wahrheit…« Er hielt inne, holte Luft, und als er weitersprach, klang seine Stimme verändert. »Ich wollte die Trennung nicht, Rixa, ich wollte das mit deiner Mutter gemeinsam durchstehen, auch wenn es schwierig war. Aber sie wollte nicht – und sie wäre niemals zu mir zurückgekommen, sie wollte keine Familie mehr, nachdem …«
    Er brach ab, sprach es nicht aus, selbst jetzt noch nicht, zwölf Jahre danach. Für einen flüchtigen Augenblick sah ich ihn vor mir. Nicht so wie in meiner Kindererinnerung, auch nicht so wie bei unserer letzten Begegnung im vergangenen Sommer, sondern so wie an jenem Abend, etwa vier Monate nach Ivos Beerdigung, als ich nach Köln gefahren war, um ihn davon zu überzeugen, dass er nach Berlin kommen müsse, um meine Mutter zurückzuholen. Weg aus dieser schäbigen Pension, in der sie nicht mehr duschte, nicht mehr aß, nicht mehr sprach – jedenfalls nicht in meiner Gegenwart –, sondern immer nur das schief hängende, unglaublich kitschige Sonnenuntergangsbild anstarrte, das über dem Bett hing, und ein Foto von Ivo im Schoß hielt wie ein Puppe.
Sie packt das
nicht ohne dich, Papa
, hatte ich damals gesagt.
Und
ich pack das auch nicht. Du musst sie holen oder mit ihr reden, irgendwas, bitte.
    Ich hatte regelrecht gebettelt und war sicher, dass er mir zumindest eine Alternative aufzeigen würde, wenn er schon nicht mit mir nach Berlin käme. Er war schließlich Chemiker, Naturwissenschaftler, durch und durch rational, genau wie Alex, er ließ niemals gelten, dass es

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