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Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition)

Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition)

Titel: Das Lied der Stare nach dem Frost: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Klönne
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ein Auto! Das kommt zu uns!«
    »Na, dann wollen wir doch mal nachgucken.« Theodor steht auf und tupft sich den Mund ab, Elise fegt ihm routiniert ein paar Krümel vom Revers.
    Nebeneinander treten sie auf die Eingangsstufen des Pfarrhauses, gerade noch rechtzeitig, um zuzusehen, wie der schwarze, glänzende Wagen zwischen den Kastanien hindurch auf den Hof fährt. Ein Mercedes-Benz, Typ 630, mit offenem Verdeck. Nur ein Mann sitzt darin.
    »SA?«, fragt Hermann, »aber was –«
    »Ein Freund«, erklärt Theodor schnell.
    »Freund nennst du die, ist es schon so weit? Weißt du denn nicht, wie die in Bayern und in der Hauptstadt wüten?«
    »Nicht, Hermann, bitte.« Elise tastet nach ihrem Bauch. Sie ist immer sehr sensibel, aber nun, so kurz vor der Niederkunft, kann sie überhaupt keine Disharmonie mehr ertragen. Sein viertes Kind schon, es ist kaum zu begreifen. Alles sieht gut aus, hat die Hebamme ihnen versprochen. Eine Hausgeburt wird das wieder, Komplikationen wie damals beim ersten Kind seien nicht zu erwarten.
    »Sturmabteilung«, zischt Hermann, »Saalschutz für Parteiversammlungen. Von wegen. Vandalen sind das. Kriminelle. Schläger. Und wenn dieser Hitler noch so viel Kreide frisst und behauptet, dass –« Er verschluckt den Rest seiner Tirade, als sein Blick auf Elise fällt. Keine Sekunde zu früh, denn der Automotor erstirbt und Wilhelm Petermann stößt die Tür auf und springt auf die Wiese.
    Hühner stieben gackernd davon, als er die Tür wieder zuschlägt. Die Kinder gaffen, mit offenen Mündern, erst eine Ermahnung Elises bringt sie zum Dienern. Petermann lächelt, tätschelt dem Jüngsten die rosigen Wangen und spendiert eine Runde saure Drops für alle. Dann erst wendet er sich zum Pfarrhaus, steht stramm und reißt den Arm hoch. Theodor riskiert einen schnellen Seitenblick auf seinen pummeligen Studienfreund, der tatsächlich vor unterdrücktem Ärger die Lippen zusammenkneift und rot anläuft wie eine alte, missbilligende Jungfer. Unheil, großes Unheil werden die Nationalsozialisten über unser Vaterland bringen, hat er gestern Abend geunkt, nachdem Elise sich zurückgezogen hatte. Und Theodor hatte ihm widersprochen, immer lauter sind sie geworden, beinahe hätten sie sich heillos zerstritten, dabei sehen sie sich doch nur selten. Hermann braucht eine Frau, denkt Theodor zum wiederholten Mal. Er wird allmählich wunderlich, weil er zu viel allein ist, und er neigt dazu, sich in seine Ideen zu verbeißen.
    »Grüß Gott«, sagt Hermann jetzt, als es an ihm ist, den Landrat zu begrüßen, das Wort Gott überdeutlich betonend.
    »Ich muss mich entschuldigen, ich komme wohl ungelegen.« Petermann bedenkt Elise mit einer formvollendeten Verneigung.
    »Aber nein, ganz und gar nicht.« Elises Wangen glühen. »Wir saßen gerade beim Tee auf der Veranda, ein so schöner Morgen, ich tue schnell noch ein Gedeck auf, das ist gar keine Mühe.«
    »An jedem anderen Tag gern«, Petermann lächelt. »Heute jedoch habe ich andere Pläne. Ich will Ihnen nämlich etwas zeigen, Retzlaff. Etwas, das Sie interessieren wird. Vorausgesetzt, Sie haben Zeit für einen Ausflug. Aber an einem Montag kann Ihre Gemeinde Sie wohl einmal entbehren.«
    Elise errötet noch mehr und drückt Theodors Hand. Sie hofft, denkt er. Sie hofft auf meine Versetzung. So lange liegt sie mir damit schon in den Ohren. Selbst Hermann, der ewige Zauderer, dem Bescheidenheit so am Herzen liegt, unterstützt sie und redet mir ins Gewissen.
Nicht einmal fließend Wasser, Theo. Und bald noch ein weiteres Kind! Das könnt ihr auf Dauer unmöglich schaffen.
    Sie fahren offen. Zockeln vom Hof durch den Duft der Kastanien, der sich mit dem Geruch der Ledersitze und dem des Benzins mischt. Der Motor tuckert im satten Basston. Die Kinder jubeln und rennen neben ihnen her, so schnell und so weit ihre nackten Füßchen sie tragen, wie ein Trupp aufgescheuchter Gänse. Kurz bevor sie auf die Straße einbiegen, dreht Theodor sich noch einmal um und erhascht einen letzten Blick auf seine Frau und seinen Freund, die einträchtig nebeneinander stehen.
    »Möge Gott dich behüten«, ruft Hermann ihm nach. Und Elise winkt mit einem Taschentuch, als sei dies ein Abschied für mehr als nur ein paar dem Alltag gestohlene Stunden.
    »Drolliger Kerl, Ihr Besucher.« Staub wirbelt auf, als Petermann Gas gibt, ein paar Dorfkinder kreischen.
    »Ein Großcousin meiner Frau. Er ist auf der Durchreise zu seiner Kur an der Ostsee.«
    »Ja, ja, die Verwandtschaft. Sie

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