Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)
nahe der Kirche. Drinnen umfing sie angenehme Wärme. Der Gottesmann öffnete die Küchentür. » Setzt Euch, ich bin gleich wieder da. Nehmt Euch von dem Wein dort auf dem Tisch. Gewiss seid Ihr durstig. «
Sie folgte seiner Aufforderung, ließ sich auf einen Stuhl sinken und goss etwas von der goldgelben Flüssigkeit in einen leeren Becher. Ihre Hände zitterten, als sie ihn anhob. Der Wein rann ihr wohltuend durch die Kehle.
In der zweckmäßig eingerichteten Küche war kaum Schmuck zu entdecken, lediglich zwei gerahmte Bilder zierten die weiß getünchten Wände. Eines zeigte den Namenspatron der Kirche, den heiligen Lorenz, das andere die Heilige Jungfrau mit dem Jesuskind.
» So, da bin ich wieder. « Andreas Osiander stand im Türrahmen, reichte ihr einen Teller mit zwei Brotscheiben und etwas Butter und betrachtete sie nachdenklich. » Habt Ihr keine Verwandten in der Nähe, die Euch aufnehmen könnten? «
Sie trank einen Schluck, nahm eine Brotscheibe und biss gierig hinein. Bis zu diesem Moment hatte sie nicht geahnt, wie herrlich einfaches Brot schmeckte. » Schon, einen Bruder « , ging sie auf seine Frage ein. » Ich bin auf der Suche nach ihm, früher haben wir ganz in der Nähe gelebt, bevor die Pestilenz … «
» Ich verstehe « , antwortete Osiander betrübt. » Wie ist sein Name? Vielleicht kenne ich ihn und kann etwas zu seinem Verbleib sagen. «
Anna drehte den Becher in der Hand, um ihm nicht ins Gesicht blicken zu müssen. » Das glaube ich kaum, Herr Pfarrer, aber danke. «
Wenn sie dem Pfarrer nur die ganze Geschichte erzählen könnte! Möglicherweise kannte Herr Osiander sogar den Beinschnitzer, bei dem Sebastian in der Lehre gestanden hatte. Nur wären es von ihrem Bruder zu ihr, der entflohenen Klosterschülerin, lediglich wenige Schlussfolgerungen, und die ganze Wahrheit käme ans Licht. Das durfte sie nicht riskieren!
Osiander seufzte und ließ sich ihr gegenüber nieder. » Schade. Nehmt das. Es sollte für die nächsten Tage genügen. « Die Silbermünzen klimperten, als er sie auf den Tisch fallen ließ.
» Danke, Herr Pfarrer. « Anna nahm die Münzen an sich und wandte sich ab, um die aufsteigende Röte zu verbergen.
KAPITEL 13
A nnas Schlaf war unruhig gewesen und von wirren Träumen begleitet. In den nächtlichen Bildern war sie an Martins Seite vor den Traualtar von St. Lorenz getreten. Der Prediger hatte die ersten Worte des Segens gesprochen, als sich Martin unvermittelt von ihr abwandte, den Mittelgang der Kirche hinunter und durch die geöffneten Türen hinaus stürzte, als wäre der Leibhaftige hinter ihm her. Plötzlich verwandelte sich Osianders Antlitz in das ihres Onkels, dessen dröhnendes Lachen das Kirchenschiff erfüllte. Voller Entsetzen lief Anna den Gang hinunter, um vor der Kirche mit Martin zusammenzustoßen, neben dem die junge Frau mit dem rotblonden Haar stand.
Tränenüberströmt war Anna erwacht. Nun saß sie am Küchentisch des Pfarrhauses und aß ein wenig Brot und Käse. Osiander musste vor ihr gefrühstückt und das Haus bereits verlassen haben. Gedankenverloren spielte sie mit den Münzen, die er ihr geschenkt hatte. Der Pfarrer schien zu jenen Dienern Gottes zu gehören, die nicht nur von Nächstenliebe predigten. Entschlossen legte sie drei der vier Münzen auf den Tisch zurück. Die eine würde reichen, um für die nächsten beiden Tage Essen und eine Unterkunft bezahlen zu können. Bald darauf verließ sie das Pfarrhaus.
Ihre Schritte lenkten sie über das von Taubenkot beschmutzte Pflaster zur Lorenzkirche. Wieder standen die Türen weit offen, die Laurentia-Glocke läutete zur Frühmesse, doch es waren noch keine Gottesdienstbesucher zu entdecken. Nur zwei Bettler – der eine ohne Füße, ein Brett mit Rädern neben sich, auf dem er sich fortbewegte – hockten auf den steinernen Stufen vor dem Portal. Ein vertrautes Bild, schließlich war es ein Akt der Nächstenliebe, den Armen zu geben. Zum Dank würden die beiden Männer zwei oder drei Ave-Maria herunterleiern. Anna schlüpfte an ihnen vorbei ins Innere.
Weihrauchgeschwängerte Luft umfing sie. Im Halbdunkel sah sie sich um. Es war lange her, seit sie hier gewesen war. Ihr Blick streifte das Sakramentshäuschen aus Sandstein und wanderte zum Engelsgruß, einem mannshohen Rosenkranz, in dem Maria und der Engel Gabriel, umgeben von sieben Medaillons, gleichsam schwebten. Eine alte Frau kniete davor, leise das Salve Regina betend. » Bitte für uns Sünder, jetzt und in der
Weitere Kostenlose Bücher