Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)
selbst wissen, was du tust. «
Sie schwiegen, und Sebastian wünschte sich, der Freund würde ihn allein lassen, damit er in Ruhe nachdenken konnte. Sich seine Schwester im Kloster vorzustellen, fiel ihm immer noch schwer. Selbst in seinen Träumen verfolgte ihn der Ausdruck in Annas Augen, als sie sich voneinander verabschieden mussten. Wie eine leere Hülle hatte sie auf ihn gewirkt, maskenhaft und ohne jene Stärke, auf die er sich stets hatte verlassen können. Mochte der Herr mit ihr sein! Ob Gott seine Gebete für Anna überhaupt erhörte, nach allem, was er getan hatte? Seine Sünden lasteten schwer auf seinen Schultern und brachten ihn so manche Nacht um den Schlaf, trotzdem hatte er es bisher nicht gewagt, bei einem Priester die Beichte abzulegen.
» Viele Bürger Nürnbergs glauben, das Ende der Welt naht « , ließ Sepp sich nun vernehmen. » Sie sagen, Gott habe uns die Pestilenz als Zeichen geschickt. Sie und manches andere. «
» Wer behauptet das? «
» Ach, komm, du hast sicher auch schon davon reden gehört. «
» Hab ich, aber ich gebe nichts auf das Geschwätz dieser Prediger. «
» Kann ich verstehen. Ich habe bisher genauso gedacht. Aber vor einigen Wochen habe ich auf dem Saumarkt einem Mann zugehört, der war irgendwie … « Sepp brach ab. Sein Blick wirkte seltsam entrückt.
» Was war mit ihm? «
» Irgendwie anders war er. Keiner, über den die Leute gespottet und den sie nicht ernst genommen haben. Eine ganze Traube hatte sich um ihn gebildet. Die Zuhörer hingen an seinen Lippen, Sebastian. Ganz anders als bei den Pfaffen in der Kirche. Ich hab auch eine ganze Weile zugehört. Da hat mich jemand angesprochen, der wohl zu ihm gehört. Ob ich nicht mal zu einer Versammlung von Kilian Pankratius kommen wolle. Sie träfen sich einmal in der Woche. «
» Und? Bist du hingegangen? «
» Allerdings. Ob du es glaubst oder nicht, es war einfach nur großartig. Weißt du, dieser Kilian soll der letzte Prophet sein. Deshalb nennen ihn seine Anhänger auch Elia. «
» Wenn man dich reden hört, könnte man glatt denken, du wärst bereits einer seiner Anhänger « , lachte Sebastian.
» Wenn du ihn reden hören könntest, würdest du mich verstehen.«
» Langsam machst du mich neugierig. «
» Schön. Warum begleitest du mich dann nicht heute Abend? «
» Zu einer dieser Versammlungen? «
» Richtig. Ich denke, es wird dir gefallen. Diese Männer bilden eine starke Gemeinschaft. Irgendwie kommt es mir so vor, als gehörte ich schon lange dazu. Jedenfalls nennen sie mich bereits Bruder Josef. «
Sebastian musste lachen. » Bruder Josef? «
» Die sprechen sich so an, ja. Sie nennen sich ›Die Bruderschaft‹ und halten eng zusammen, Sebastian. Also, was ist? Kommst du mit? «
» Na gut, du hast mich überredet. Ein bisschen Abwechslung kann nicht schaden, Bruder Josef. «
Spontan zog der Freund ihn an sich und klopfte ihm auf den Rücken. » Du wirst es nicht bereuen, Sebastian. «
Der Versammlungsort, zu dem der Sohn des Sattlers ihn führte, befand sich unweit der vier Mühlen, deren Räder sich im Wasser der Pegnitz drehten. Während Sepp leise die schwere Eichentür des Hauses hinter sich ins Schloss zog, betrat Sebastian den halbdunklen Raum. Im schwachen Licht einiger Talglampen erkannte er etwa zwei Dutzend Gestalten, die sich um einen hochgewachsenen Mann in einfacher Kleidung scharten, der hinter einem Tischchen stand. Vor ihm lag ein in helles Leder gebundenes Buch.
» Wie Christus es tat, so sende auch ich euch wie Schafe unter die Wölfe « , rief der Mann mit Leidenschaft in der Stimme. » Wie Er es seinen Jüngern befahl, so sage auch ich euch: Gehet hin und predigt das Evangelium aller Kreatur. Und habt keine Angst vor ihrem Drohen. Gottes Engel werden euch beschützen, nichts wird euch geschehen, denn der Allmächtige ist mit euch. «
Der Mann griff nach dem Buch und schlug es auf. Eine biblia! Vom unzähligen Blättern und Lesen hatte der Ledereinband an einigen Stellen eine dunkle, fleckige Färbung angenommen. Sebastian hatte dieses Buch bisher nur auf dem Altar von St. Sebald zu sehen bekommen. In letzter Zeit aber wurde gemunkelt, dass die Heilige Schrift in Deutschland zunehmend Verbreitung fand, seit ein Mann namens Gutenberg vor über fünfzig Jahren ein neues Verfahren zum Druck von Büchern und anderen Schriften erfunden hatte.
» ›Ist Gott für uns‹, so schreibt der heilige Paulus in seinem Brief an die Römer, ›wer mag wider uns sein?‹ « ,
Weitere Kostenlose Bücher