Das Lied vom Schwarzen Tod: Historischer Roman (German Edition)
lassen, auf ihre Kosten natürlich. Auch die Seelenmesse hatten sie bezahlen wollen. Anna hatte höflich, aber bestimmt abgelehnt. Sie wollte keine Almosen.
Vorsichtig setzte sie ihre Schritte. Ihr Bruder hatte noch geschlafen, als sie die Tür hinter sich ins Schloss gezogen hatte. Er verließ das Haus ungern, und wenn doch, dann nur im Schutz der Dunkelheit. Seit dem Zusammenstoß mit Ferdinand und Sepp erschien es ihm sicherer, erst abends hinauszugehen, um nicht von seinen einstigen Glaubensgenossen erkannt zu werden. Ein Frösteln durchfuhr sie. Bitterkalt war es geworden. In der Nacht hatte es wieder geschneit, und der Schnee bedeckte das Pflaster des ausgedehnten Platzes vor der Frauenkirche mit glitzerndem Weiß. In einem der Gänge winkte ihr die Frau des Meistermalers zu. Frau Dürer stellte ihren Korb ab und reichte Anna die Hand, um sie von Kopf bis Fuß zu mustern.
» Mir scheint, Ihr seid schon wieder schmaler geworden, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben. Auch die Kleine könnte etwas mehr auf den Rippen gebrauchen. Was hatte sie früher für runde Bäckchen! « Als Anna schwieg, trat ein Zeichen des Verstehens in Frau Dürers Antlitz. » Lasst uns die Einkäufe erledigen, und dann schnell zurück ins warme Haus « , sagte sie resolut und führte die Freundin mit sich. Diese ließ es dankbar geschehen.
Die beiden Frauen erstanden an verschiedenen Marktbuden, was sie benötigten, und strebten dem Haus am Ende der Zisselgasse zu. Die Steine, mit denen der steile Weg zum Tiergärtnertor gepflastert war, verwandelten jeden Gang in eine Rutschpartie. Zudem hatte es erneut zu schneien begonnen.
Im Haus des Malers angekommen, klopften sich die Frauen die weißen Flocken von den Mänteln, die ihnen die herbeieilende Magd abnahm, um sie zum Trocknen aufzuhängen.
» Bring uns einen Teller Lebkuchen, Susanne « , wies die Hausherrin sie an. » Wir gehen hinauf ins Esszimmer. Bring auch einen Becher warme Milch für das Kind, und richte Marianne aus, sie soll etwas von dem guten Würzwein erhitzen, der gestern geliefert wurde. Frau Dietl und ich frieren wie die Schneider. Etwas Warmes wird uns guttun, nicht wahr, Anna? «
Diese folgte der Hausherrin. Nachdem sich die Tür geschlossen hatte und Lenchen fröhlich auf dem Schoß der Gastgeberin zappelte, verzogen sich deren Lippen zu einem Lächeln.
» Na, meine Kleine, dir gefällt es bei mir, nicht wahr? « Sie wandte ihre Aufmerksamkeit wieder Anna zu. » Ich habe eine Köchin eingestellt, weil mein Mann es seit einiger Zeit vorzieht, im Wirtshaus zu speisen. Anscheinend genügen ihm meine Kochkünste nicht mehr, seit er an der Tafel des Kaisers gesessen und in Antwerpen mit Fürsten und Philosophen getafelt hat. « Sie brach ab. » Entschuldigt, ich möchte Euch nicht mit Erzählungen aus unserem Eheleben langweilen. Sicher habt Ihr anderes im Kopf, so kurz nach dem Ableben Eures Mannes. «
Anna schüttelte den Kopf. » Ihr langweilt mich nicht. Im Gegenteil, die Ablenkung tut gut. Meine Tage sind lang geworden, seit ich die bestellten Arbeiten ausgeliefert habe. Seitdem betreten die Leute nur noch die Werkstatt, um neugierige Fragen zu stellen oder mit mir um das Mobiliar oder Korbinians angefangene Arbeiten zu feilschen. Meist begleitet von mitfühlenden Blicken. Sie tun geradezu so, als müsste ich noch dankbar sein, wenn sie mir etwas abkaufen wollen. « Sie seufzte. » Diesen Menschen ist es in Wahrheit vollkommen gleichgültig, wie es uns ergeht, solange sie nur Geschäfte wittern. «
Frau Dürer rollte mit den Augen. » Haben die letzten Kunden wenigstens wie vereinbart gezahlt? «
» Nicht alle. Sie glauben sicherlich, eine Frau – noch dazu eine Witwe – weiß sich in ihrer Trauer nicht zu wehren. «
» Ihr werdet diese unverschämten Personen eines Besseren belehren, vermute ich? «
» Das werde ich. Obendrein gibt es in meinem Haus einen hungrigen Magen mehr zu füllen. «
» Wie meint Ihr das? « , fragte Frau Dürer und beugte sich zu ihr herüber.
Anna berichtete ihr von Sebastian. » Wir haben uns vor Kurzem endlich wiedergefunden. « Freude wallte in ihr auf, während sie erzählte. Wie wunderbar es war, diese Worte aussprechen zu können! » Seitdem lebt mein Bruder bei uns. «
Agnes Dürer klatschte in die Hände. » Tatsächlich? Wie schön! Seht Ihr, ist das nicht ein Lichtblick in dunklen Zeiten? « Frau Dürer musterte sie nachdenklich. » Mein Gemahl und ich haben uns gestern über Euch unterhalten und möchten Euch
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