Das Lied von Eis und Feuer 1 - Die Herren von Winterfell
er selbst auf Winterfell war, und nachdem sein gedungener Mörder tot ist, wer soll ihn nun als Lügner entlarven?« Er warf das Messer etwas mehr in Neds Richtung. »Mein Rat wäre, dieses Ding in den Fluss zu werfen und zu vergessen, dass es je geschmiedet wurde.«
Ned betrachtete ihn mit kaltem Blick. »Lord Baelish, ich bin ein Stark von Winterfell. Mein Sohn ist verkrüppelt, dem Tode nah. Er wäre bereits tot, und Catelyn mit ihm, wäre da nicht dieses Wolfsjunge gewesen, das wir im Schnee gefunden haben. Falls Ihr wirklich glauben solltet, dass ich das vergessen könnte, seid Ihr heute noch ein ebensolcher Narr wie damals, als Ihr Euer Schwert gegen meinen Bruder erhoben habt.«
»Ein Narr mag ich wohl sein, Stark … nur bin ich noch immer hier, während Euer Bruder schon seit vierzehn Jahren tot ist. Wenn Ihr so darauf bedacht seid, an seiner Seite zu verfaulen, so liegt es mir fern, Euch davon abzubringen, doch möchte ich an dieser Gesellschaft lieber nicht teilhaben, vielen Dank.«
»Ihr wäret der letzte Mensch, den ich freiwillig an einer Gesellschaft teilhaben ließe, Lord Baelish.«
»Ihr habt mich tief verwundet.« Kleinfinger legte die Hand auf sein Herz. »Ich für mein Teil habe Euch Starks stets als ermüdenden Haufen erlebt, doch scheint Cat an Euch zu hängen, aus Gründen, die mir fern sind. Ich will versuchen,
Euch um ihretwillen am Leben zu erhalten. Zugegebenermaßen ein närrisches Vorhaben, nur könnte ich Eurer Gattin nichts ausschlagen.«
»Ich habe Petyr von unserem Verdacht über Jon Arryns Tod erzählt«, sagte Catelyn. »Er hat versprochen, dass er Euch helfen will, die Wahrheit ans Licht zu bringen.«
Das war keine Neuigkeit, die Eddard Stark gern hörte, doch traf es sicher zu: Sie brauchten Hilfe. Und Kleinfinger war für Cat einst fast ein Bruder gewesen. Es wäre nicht das erste Mal, dass Ned gezwungen war, mit einem Mann, den er verachtete, gemeinsame Sache zu machen. »Also gut«, sagte er und schob den Dolch in seinen Gürtel. »Ihr habt von Varys gesprochen. Weiß der Eunuch von alledem?«
»Nicht aus meinem Mund«, sagte Catelyn. »Ihr habt keine Närrin geheiratet, Eddard Stark. Nur besitzt Varys wie kein anderer Möglichkeiten, Dinge in Erfahrung zu bringen. Er beherrscht dunkle Künste, Ned, ich schwöre es.«
»Er hat Spione, das ist allgemein bekannt«, sagte Ned mit wegwerfender Geste.
»Es ist mehr als das«, beharrte Catelyn. »Ser Rodrik hat sich mit Ser Aron Santagar in aller Heimlichkeit getroffen, und dennoch wusste die Spinne von ihrem Gespräch. Ich fürchte diesen Mann.«
Kleinfinger lächelte. »Überlasst Lord Varys mir, meine Liebe. Wenn Ihr mir eine kleine Obszönität verzeihen wollt – und wo wäre sie angebrachter als hier: Ich halte die Eier dieses Mannes mit fester Hand.« Er machte lächelnd eine hohle Hand. »Oder ich würde es tun, wenn er ein Mann wäre oder Eier hätte. Seht Ihr, wird der Kuchen erst angeschnitten, fangen die Vögel an zu singen, und das würde Varys nicht gefallen. Wäre ich an Eurer Stelle, würde ich mich mehr um die Lennisters und weniger um den Eunuchen sorgen.«
Ned brauchte keinen Kleinfinger, der ihm das erzählte. Er dachte an jenen Tag zurück, als Arya gefunden wurde, an den Ausdruck auf dem Gesicht der Königin, als sie sagte: Wir haben einen Wolf, so sanft und leise. Er dachte an den Jungen
Mycah, an Jon Arryns plötzlichen Tod, an Brans Sturz, an den alten, irren Aerys Targaryen, der sterbend am Boden seines Thronsaals lag, während sein Herzblut an einer vergoldeten Klinge trocknete. »Mylady«, sagte er zu Catelyn gewandt, »hier gibt es nichts mehr, was Ihr tun könntet. Ich möchte, dass Ihr augenblicklich nach Winterfell zurückkehrt. Wo ein Attentäter ist, könnten noch weitere sein. Wer Brans Tod befohlen hat, wird bald schon in Erfahrung bringen, dass der Junge noch lebt.«
»Ich hatte gehofft, ich könnte die Mädchen sehen …«, sagte Catelyn.
»Das wäre in höchstem Maße unklug«, warf Kleinfinger ein. »Der Rote Bergfried ist voll neugieriger Augen, und Kinder reden.«
»Er sagt die Wahrheit, Liebste«, erklärte Ned. Er umarmte sie. »Nehmt Ser Rodrik und reitet nach Winterfell. Ich werde auf die Mädchen achten. Geht heim zu Euren Söhnen und schützt sie.«
»Wie Ihr meint, Mylord.« Catelyn hob ihr Gesicht, und Ned küsste sie. Ihre zerschnittenen Hände klammerten sich mit verzweifelter Kraft an seinen Rücken, als wollte sie ihn für immer im Schutz ihrer Umarmung
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