Das Lied von Eis und Feuer 1 - Die Herren von Winterfell
Grund hätte Robert für diese lange Reise haben können? Die Rechte Hand des Königs war der zweitmächtigste Mann in den Sieben Königslanden. Sie sprach mit der Stimme des Königs, befehligte des Königs Armeen, unterzeichnete die Gesetze des Königs. Gelegentlich saß sie sogar auf dem Eisernen Thron, um königliches Recht zu sprechen, wenn der König abwesend oder krank war oder sonst wie unpässlich. Robert bot ihm eine Verantwortung an, die groß war wie das Reich selbst.
Es war das Letzte auf der Welt, was er wollte.
»Majestät«, sagte er. »Ich habe diese Ehre nicht verdient.«
Robert knurrte mit gut gelaunter Ungeduld. »Wenn ich
dich ehren wollte, würde ich dich in den Ruhestand versetzen. Ich habe vor, dich das Reich und die Kriege führen zu lassen, während ich esse und trinke und mich in ein frühes Grab hure.« Er schlug sich auf den Wanst und grinste. »Kennst du das Sprichwort über den König und seine Rechte Hand?«
Ned kannte das Sprichwort. »Was der König erträumt«, sagte er, »das baut die Rechte Hand.«
»Einmal war ich mit einer Fischhändlerin im Bett, die mir erzählte, dass die von niedriger Geburt eine deftigere Art haben, es auszudrücken. Der König speist, so sagen sie, und an der Rechten Hand bleibt die Scheiße kleben.« Er warf den Kopf in den Nacken und brüllte vor Lachen. Das Echo hallte durch die Dunkelheit.
Schließlich verklang das Gelächter und erstarb. Ned stützte sich noch immer auf ein Knie mit erhobenem Blick. »Verdammt, Ned«, klagte der König. »Du könntest mich wenigstens mit einem Lächeln erfreuen.«
»Man sagt, hier oben würde es im Winter so kalt, dass einem das Lachen im Hals erfriert und man daran erstickt«, sagte Ned gleichmütig. »Vielleicht ist das der Grund, wieso die Starks so wenig Humor haben.«
»Komm in den Süden mit mir, und ich zeige dir, wie man lacht«, versprach der König. »Du hast mir geholfen, diesen verdammten Thron zu erobern, jetzt hilf mir, ihn zu halten. Wir sind dafür gemacht, gemeinsam zu herrschen. Wenn Lyanna noch lebte, wären wir Brüder geworden, durchs Blut wie durch Zuneigung verbunden. Nun, es ist noch nicht zu spät. Ich habe einen Sohn. Du hast eine Tochter. Mein Joff und deine Sansa sollen unsere Geschlechter verbinden, wie Lyanna und ich es einst getan hätten.«
Dieses Angebot erstaunte ihn nun doch. »Sansa ist erst elf.«
Ungeduldig winkte Robert ab. »Alt genug für die Verlobung. Die Heirat kann ein paar Jahre warten.« Der König lächelte. »Nun steh auf und sag ja, verdammt!«
»Nichts würde mir größere Freude bereiten, Majestät«, antwortete Ned. Er zögerte. »Diese Ehrungen kommen allesamt sehr unerwartet. Habe ich etwas Zeit, sie zu bedenken? Ich muss mich mit meiner Frau besprechen …«
»Ja, ja, natürlich, sag es Catelyn, schlaf drüber, wenn du willst.« Der König streckte eine Hand aus, nahm Ned bei der seinen und zog ihn grob auf die Beine. »Lass mich nur nicht zu lange warten. Ich bin nicht der geduldigste Mensch auf der Welt.«
Einen Moment lang war Eddard Stark von einer schrecklichen Vorahnung erfüllt. Hier war sein Platz, hier im Norden. Er sah sich nach den steinernen Gestalten um und atmete tief in der kalten Stille der Gruft. Er spürte die Blicke der Toten. Sie alle lauschten, das wusste er. Und der Winter nahte.
JON
Es gab Momente – nicht viele, aber einige wenige –, in denen Jon Schnee sich freute, ein Bastard zu sein. Als er seinen Weinbecher ein weiteres Mal aus einem der Krüge nachfüllte, die herumgereicht wurden, kam ihm in den Sinn, dass dieser Augenblick ein solcher sein mochte.
Er lehnte sich an seinem Platz auf der Bank zwischen den jüngeren Schildknappen zurück und trank. Der süße, fruchtige Geschmack von Sommerwein erfüllte seinen Mund und lockte ein Lächeln auf seine Lippen.
Die Große Halle von Winterfell war von Rauch vernebelt. Schwer hing der Duft von geröstetem Fleisch und frisch gebackenem Brot in der Luft. Die grauen Steinwände waren mit Bannern verziert. Weiß, Gold, Rot: der Schattenwolf von Stark, Baratheons gekrönter Hirsch, der Löwe von Lennister. Ein Sänger spielte die Harfe und trug eine Ballade vor, doch unten am Ende des Saales war seine Stimme beim Prasseln des Feuers, dem Klirren von Zinntellern und Bechern und dem tiefen Gemurmel von hundert trunkenen Gesprächen kaum noch zu vernehmen.
Es war die vierte Stunde des Willkommensfestes, das man dem König bereitete. Jons Brüder und Schwestern hatte man zu den
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