Das Lied von Eis und Feuer 1 - Die Herren von Winterfell
wollte sehen, wie Robb den galanten Prinz Joffrey aus den Stiefeln schlug. »Komm«, flüsterte sie Nymeria zu. Sie stand auf und rannte, und der Wolf war ihr hart auf den Fersen.
Es gab ein Fenster in der überdachten Brücke zwischen der Waffenkammer und dem Großen Turm, von dem aus man den gesamten Hof überblicken konnte. Dorthin wollte sie.
Dort rotgesichtig und atemlos angekommen, fand sie Jon vor, der auf der Fensterbank saß und ein Bein träge unters Kinn gezogen hatte. Er beobachtete die Kämpfe derart versunken, dass er Arya und die Wölfin erst bemerkte, als sein weißer Wolf ihnen entgegenlief, um sie zu begrüßen. Argwöhnisch stakste Nymeria näher heran. Geist, der jetzt schon größer als die anderen aus seinem Wurf war, beschnüffelte sie, biss ihr vorsichtig ins Ohr und setzte sich dann hin.
Jon warf ihr einen neugierigen Blick zu. »Solltest du nicht an deinen Stickereien sitzen, kleine Schwester?«
Arya schnitt ihm eine Fratze. »Ich wollte sie kämpfen sehen. «
Er lächelte. »Dann komm her.«
Arya kletterte zum Fenster hinauf und setzte sich neben ihn, zum Chor von dumpfen Schlägen und angestrengtem Stöhnen.
Zu ihrer Enttäuschung übten dort die kleineren Jungen. Bran war derart dick gepolstert, dass er aussah, als hätte er ein Federbett um sich gewickelt, und Prinz Tommen, der ohnehin etwas dicklich war, wirkte nun wie eine Kugel. Sie keuchten und schnauften und schlugen mit gepolsterten Holzschwertern aufeinander ein, und alles unter den Augen von Ser Rodrik Cassel, dem Waffenmeister, einem großen, gestauchten Fass von einem Mann mit prächtig weißem
Backenbart. Ein Dutzend Zuschauer, Männer und Jungen, feuerten sie an, und Robbs Stimme war die lauteste von allen. Sie entdeckte Theon Graufreud neben ihm, das schwarze Wams mit dem goldenen Kraken seines Hauses bestickt. Auf seinem Gesicht zeigte sich Verachtung. Beide Kämpfer taumelten. Vermutlich waren sie schon eine Weile dabei.
»Einen Hauch ermüdender als Handarbeit«, bemerkte Jon.
»Einen Hauch vergnüglicher als Handarbeit«, gab Arya zurück. Jon grinste, streckte eine Hand aus und zauste ihr Haar. Arya errötete. Schon immer hatten sie einander nahegestanden. Jon besaß das Gesicht ihres Vaters, genau wie sie. Sie waren die einzigen. Robb und Sansa und Bran und selbst der kleine Rickon kamen allesamt nach den Tullys, stets lächelnd und mit Feuer im Haar. Als Arya klein gewesen war, hatte sie befürchtet, es bedeutete, dass auch sie ein Bastard sei. Jon war es gewesen, zu dem sie mit ihren Befürchtungen gegangen war, und Jon hatte sie beruhigt.
»Wieso bist du nicht unten auf dem Hof?«, fragte Arya.
Mit halbem Lächeln sah er sie an. »Einem Bastard ist es nicht gestattet, junge Prinzen zu verbeulen«, sagte er. »Die Prellungen, die sie von ihren Übungen heimbringen, müssen von reinrassigen Schwertern stammen.«
»Oh.« Arya war verlegen. Sie hätte es sich denken können. Zum zweiten Mal an diesem Tag dachte Arya, dass das Leben ungerecht war.
Sie beobachtete, wie ihr kleiner Bruder auf Tommen einhieb. »Ich könnte es genauso gut wie Bran«, sagte sie. »Er ist erst sieben. Ich bin neun.«
Jon musterte sie mit aller Weisheit seiner vierzehn Lebensjahre. »Du bist zu dünn«, sagte er. Er nahm ihren Arm, um ihre Muskeln zu betasten. Dann seufzte er und schüttelte den Kopf. »Ich bezweifle, ob du überhaupt ein Langschwert heben könntest, kleine Schwester, geschweige denn ein solches schwingen.«
Arya riss ihren Arm zurück und funkelte ihn an. Wieder
zauste Jon ihr Haar. Sie beobachtete, wie Bran und Tommen einander umkreisten.
»Siehst du Prinz Joffrey?«, fragte Jon.
Den hatte sie nicht gesehen, zumindest nicht auf den ersten Blick, doch als sie noch einmal in die Runde blickte, fand sie ihn zurückgezogen im Schatten der hohen Steinmauer. Er war von Männern umgeben, die sie nicht kannte, jungen Knappen in den Gewändern von Lennister und Baratheon, allesamt Fremde. Einige ältere Männer waren darunter, Ritter, wie sie vermutete.
»Sieh dir die Ärmel an seinem Wappenrock an«, sagte Jon.
Arya sah hinüber. Ein verzierter Schild war auf den gepolsterten Wappenrock gestickt. Ohne Zweifel war die Handarbeit ganz ausgezeichnet. Der Schild war in der Mitte geteilt. Auf der einen Seite sah man den gekrönten Hirsch der königlichen Familie, auf der anderen den Löwen der Lennisters.
»Die Lennisters sind stolz«, bemerkte Jon. »Man sollte glauben, das königliche Siegel müsste genügen, aber
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