Das Lied von Eis und Feuer 7 - Martin, G: Lied von Eis und Feuer 7 - A Feast of Crows. A Song of Ice and Fire, vol 4 (4/1)
Zähnen wieder hoch, und plötzlich ragte Brienne vor ihm auf. Ganz sicher war es derselbe Junge. Sie erkannte das Gerstenkorn. »Wer bist du?«, verlangte sie zu wissen.
Der Mund des Jungen bewegte sich lautlos. Die Augen waren groß wie Eier. »Puh«, war alles, was er herausbekam. »Puh.« Seine Kettenbrünne rasselte, als er erschauerte. »Puh. Puh.«
»Bitte?«, fragte Brienne. »Wieso sagst du dauernd bitte ?« Sie setzte ihm die Schwertspitze an die Kehle. »Bitte sag mir, wer du bist und warum du mir folgst?«
»Nicht puh-puh- bitte .« Er steckte sich den Finger in den Mund, pulte einen Erdklumpen heraus und spuckte. »Puh-Puh- Pod. Mein Name. Puh-Puh- Podrick. Puh-Payn.«
Brienne senkte das Schwert. Plötzlich empfand sie Mitleid mit dem Jungen. Sie erinnerte sich an einen Tag in Dämmerhall und an einen jungen Ritter mit einer Rose in der Hand. Er hat mir die Rose gebracht, wollte sie mir schenken. Jedenfalls hatte ihre Septa das erzählt. Sie sollte ihn eigentlich nur auf der Burg ihres Vaters willkommen heißen. Er war achtzehn, das lange rote Haar wallte auf die Schultern. Sie war zwölf, eng in ihr neues, steifes Kleid geschnürt, auf dessen Mieder Granate leuchteten. Sie waren beide gleich groß gewesen, dennoch konnte sie ihm nicht in die Augen sehen oder auch nur die einfachen Worte sprechen, die ihre Septa sie gelehrt hatte. Ser Ronnet. Ich heiße Euch in der Halle meines Hohen Vaters willkommen. Es ist schön, Euch endlich von Angesicht zu Angesicht zu sehen.
»Warum bist du mir gefolgt?«, wollte sie von dem Jungen wissen. »Hat man dir aufgetragen, mir nachzuspionieren? Gehörst du zu Varys oder zur Königin?«
»Nein. Nicht zu denen. Zu keinem.«
Brienne schätzte ihn auf zehn, allerdings war sie fürchterlich schlecht darin, das Alter von Kindern zu beurteilen. Meist hielt sie die Kinder für jünger, als sie waren, vielleicht, weil sie selbst für ihr Alter immer zu groß gewesen war. Absonderlich groß, pflegte Septa Roelle zu sagen, und unweiblich. »Die Straße ist zu gefährlich für einen Jungen, der allein reist.«
»Nicht für einen Knappen. Ich bin sein Knappe. Der Knappe der Hand.«
»Meinst du Lord Tywin?« Brienne schob ihr Schwert in die Scheide.
»Nein. Nicht die Hand. Die davor. Sein Sohn. Ich habe mit ihm in der Schlacht gekämpft. Ich habe gebrüllt: ›Halbmann! Halbmann!‹ «
Der Knappe des Gnoms. Brienne hatte nicht gewusst, dass der Zwerg überhaupt einen gehabt hatte. Tyrion Lennister war kein Ritter. Bei ihm hätte man einen Diener erwartet, der ihm aufwartete, vielleicht sogar zwei, nahm sie an, einen Pagen und einen Mundschenk, jemanden, der ihm beim Ankleiden half. Aber einen Knappen ? »Warum schleichst du mir nach?«, fragte sie. »Was willst du?«
»Ich will sie finden.« Der Junge kam wieder auf die Beine. »Seine Lady. Ihr sucht nach ihr. Brella hat es mir gesagt. Sie ist seine Gemahlin. Nicht Brella, Lady Sansa. Da dachte ich, wenn Ihr sie findet …« Plötzlich verzerrte sich seine Miene gequält. »Ich bin sein Knappe «, wiederholte er, und der Regen rann ihm über das Gesicht, »aber er hat mich zurückgelassen. «
SANSA
Einmal, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war, hatte sich ein Wandersänger ein halbes Jahr lang bei ihnen in Winterfell aufgehalten. Ein alter Mann war er, mit weißem Haar und wettergegerbten Wangen, doch er sang von Rittern und Fahrten und schönen Damen, und Sansa hatte bittere Tränen vergossen, als er sie verließ, und hatte ihren Vater angefleht, er möge ihn nicht ziehen lassen. »Der Mann hat uns jedes Lied, das er kennt, doppelt und dreifach vorgesungen«, hatte ihr Lord Eddard milde geantwortet, »ich kann ihn nicht gegen seinen Willen hier festhalten. Du brauchst nicht zu weinen. Ich verspreche dir, es werden andere Sänger kommen.«
Doch waren keine gekommen, nicht im Laufe des nächsten Jahres und auch später nicht. Sansa hatte zu den Sieben in ihrer Septe und zu den alten Göttern vom Herzbaum gebetet und sie angefleht, ihr den alten Mann zurückzuschicken, oder besser noch einen anderen Sänger, jung und stattlich. Doch die Götter antworteten nicht, und in den Hallen von Winterfell herrschte Stille.
Doch damals war sie ein kleines und törichtes Mädchen gewesen. Jetzt war sie eine Jungfrau, dreizehn Jahre alt und erblüht. All ihre Nächte waren voller Lieder, und bei Tage betete sie um Stille.
Wäre Hohenehr so gebaut gewesen wie andere Burgen, hätten nur die Ratten und die Kerkermeister den
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