Das Locken der Sirene (German Edition)
Grunde ist es auch egal, warum sie hier ist, sagte er sich. Hauptsache, er würde sie schon bald wiedersehen. Das reichte ihm, um in der Lobby zu warten. Wenn es sein musste, sogar bis in alle Ewigkeit.
Zwei Stunden nachdem sie mit den Kämmen in beiden Händen eingeschlafen war, kroch Nora aus dem Bett und duschte sich. Wie benebelt zog sie sich an. Sie war vor Erschöpfung wie betäubt, und der Schock hatte sie zusätzlich ausgelaugt. Sie betrat die Küche mit bleischweren Füßen. Wesley kramte laut in den Schubladen und knallte mit den Schranktüren.
„Wonach suchst du?“, fragte sie.
„Nach meinem Thermosbecher. Dem blauen mit dem Deckel.“ Seine Stimme klang angespannt.
„Hast du in der Spülmaschine nachgeschaut?“
Wesley blieb stehen, riss die Spülmaschine auf und zerrte die obere Schublade heraus. „Spülmaschine“, sagte er mehr zu sich selbst als zu ihr. „Natürlich. Genau. Wie konnte ich nur so ein kompletter Idiot sein?“
Nora zuckte zusammen. Vorsichtig sank sie auf einen Stuhl am Tisch. Es tat weh, mit ihm in einem Raum zu sein. Wesley lehnte sich kurz gegen die Arbeitsplatte und atmete einfach nur.
„Bist du mir jetzt böse?“, fragte sie kleinlaut.
„Das wäre ich gerne. Und ich sollte es auch sein.“ Er schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin dir nicht böse. Eher wütend auf mich.“
Sie nickte und begegnete seinem Blick. „Bist du sehr traurig?“
Er stieß ein kaltes hohles Lachen aus. „Ja, ich bin traurig.“ Sie sah, dass er versuchte, nicht zu weinen.
Sie kämpfte auch mit den Tränen. „Es tut mir leid, Wes. Gott, wie sehr es mir leidtut. Du hast gesagt, du wolltest, dass dein erstes Mal mit einer Frau ist, die weiß, was sie tut. Aber sobald es um dich geht, habe ich offensichtlich absolut keine Ahnung mehr, was ich tue.“
„Das ist mir egal. Es gibt außer dir keine, mit der ich zusammen sein möchte. Aber wenn du mit Zach zusammen sein willst – ich will einfach nur, dass du glücklich bist.“
„Hör mal, die Nacht mit Zach – da ging es nur ums Buch. Ich bin gestern zu ihm gegangen, weil ich ihm das Buch ins Gesicht schleudern wollte. Ich wollte ihm zeigen, dass ich fertig geworden bin. Ich wollte gerade gehen, als er mich bat, zu bleiben und ihm bei der letzten Überarbeitung zu helfen. Wir haben alles in dieser einen Nacht geschafft.“
„Ich hab dich gesehen, als du reingekommen bist. Ihr habt nicht nur am Buch gearbeitet. Ich bin nicht total dumm, weißt du?“
„Du bist ganz und gar nicht dumm! Ich bin die Dumme. Ich bin es, die vergessen hat anzurufen. Die unsere Pläne vergessen hat. Ich war einfach wie paralysiert, weil Zach plötzlich seine Meinung geändert hat. Er wollte das Buch lesen. Wes!“, sagte sie beschwörend, und er schaute sie an. „Er hat den Vertrag unterschrieben. Wir haben gefeiert.“
„Ich dachte, wir wollten gestern feiern.“
„Das können wir immer noch. Wir können …“
„Ich habe nicht über ein Abendessen und einen verfluchten Film geredet, Nora.“ Die pure Verzweiflung in seiner Stimme ließ sie zusammenzucken. „Ich wollte, dass wir zusammen sind.“
„Wesley …“, begann sie, doch sie wusste nicht, was sie dazu sagen sollte.
„Es tut mir leid“, sagte er und fuhr sich mit beiden Händen durchs Haar. „Ich wollte dich nicht anschreien. Das hier ist einfach nur … Ich weiß nicht. Letzten Sonntag, als wir auf deinem Bett lagen, Nora – ich kann dir gar nicht sagen, wie ich mich da gefühlt habe.“
„Ich habe bei niemandem etwas Ähnliches empfunden“, sagte sie. Nur zu lebhaft erinnerte sie sich an die erbärmliche Panik, die sie erfasst hatte, weil sie und Wesley fast miteinander geschlafen hätten.
„Was hast du empfunden?“, fragte er und verschränkte die Arme vor der Brust. Er wirkte kalt und müde.
Sie wollte die Arme um ihn legen, bis ihnen beiden wieder warm wurde.
Sie lachte auf. „Ich hatte Lampenfieber.“
„Lampenfieber? Nora, du brauchst bei mir doch keine Vorstellung abzuliefern.“
„Ich denke, das ist der Grund, warum ich so verängstigt war. Ich wusste nicht, wie es ist, mit jemandem wie dir zusammen zu sein. Ich kenne die Regeln dieses Spiels nicht.“
„Das ist kein Spiel.“
„Und wie sollen wir dann gewinnen?“
Wesley gab keine Antwort. Er blickte starr an ihr vorbei.
„Ich glaube, das beantwortet meine Frage“, sagte sie.
Wesley atmete tief durch. „Ich werde es versuchen. Ich will versuchen, das zu sein, was du brauchst. Ich weiß, ich bin nicht
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